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Die Gegenwart der Verstorbenen in der Gemeinde Die Familie Russo Valentino gedenkt des vor einem Jahr Es ist Allerheiligen. Zwei Leute aus der Gemeinde verlesen, was auf den kleinen Zetteln steht, welche die Angehörigen zu Hause oder vor dem Gottesdienst ausgefüllt haben. Endlos scheint die Reihe der Familien, die ihrer Verstorbenen gedenken möchten. Es sind die Vorfahren, die eigenen Eltern und Großeltern, die Geschwister, Familienmitglieder, die schon in jungen Jahren aus diesem Leben gerissen wurden. Und es sind auch die, welche auf spektakuläre Weise ums Leben kamen. Vielleicht ist in der Emigration das Bedürfnis, sich der Verstorbenen zu erinnern, besonders groß. Der Friedhof, auf dem die eigenen Familienmitglieder beerdigt sind, ist tausend oder mehr Kilometer entfernt. Beim Tod eines nahen Angehörigen im Herkunftsland ist oft eine Teilnahme an der Beerdigung nicht möglich. Wie lässt sich da trauern? Eben im Gottesdienst an Allerheiligen, oder bei Besuchen auf fremden Friedhöfen. Die Verehrung der Verstorbenen ist Ausdruck der Verbundenheit der Generationen. Das Totengedenken kann eine Form sein, sich zu erinnern, woher man kommt. Das ist (meist) hilfreich für das eigene Leben. Die eigenen Werte, Traditionen, Rituale sind aufgebaut und übergeben durch die Generationen vor uns. (Die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus zeigen, wie problematisch es ist, wenn eine Generation Werte bzw. Nicht-Werte lebt, die von der folgenden Generation nicht übernommen werden können oder sogar Verachtung verdienen.) Nicht zu letzt war im ländlichen Milieu die Verbundenheit der Generationen überlebensnotwendig. Man lebte als Arbeitsgemeinschaft über Generationen hinweg, in der Landwirtschaft ebenso wie in der Fischerei. In den traditionellen Religionen Afrikas erfahren die Ahnen eine fast gottgleiche Verehrung. Afrikanische Theologie hat deshalb eine Deutung von Jesus Christus als „Proto-Ahn“ entworfen, die hilfreich sein will, um Afrikanern eine kulturelle Brücke zwischen der eigenen religiös-kulturellen Tradition und dem Christentum zu bauen. Die Liturgie der Eucharistie hat als eines ihrer wesentlichen Elemente die Erfahrung der Gemeinschaft der Heiligen. Das ist der Moment, in dem sich die Verstorbenen mit den Lebenden und den Zukünftigen und mit allen Engeln und Heiligen versammeln, um gemeinsam Gott zu loben in dem uralten Gebet bzw. Lied „Heilig .... Hosanna in der Höhe!“, praktisch eine Liturgie der Inthronisation Gottes. Die Verwendung von Unmengen Weihrauch während dieser Phase z.B. in der Liturgie der orthodoxen Kirche deutet die Vermischung der irdischen und himmlischen Sphären an, indem sie den Raum in einen geheimnisvollen Nebel hüllt. Die Praxis in den Gemeinden Die Verstorbenen sind auf verschiedene Weise präsent in den christlichen Gemeinden: In vielen muttersprachlichen Gemeinden werden Namen von Verstorbenen an Allerheiligen im Gottesdienst vorgelesen. Die Erfahrung zeigt, dass traditionell ausgerichtete Gläubige, die ursprünglich aus ländlichen Gegenden stammen, die Verlesung der Namen sehr schätzen. Mit der Verlesung erklingen viele Namen von Familien wenigstens einmal im Jahr laut in der Kirche. Die Aufrufung des Namens hat für die Angehörigen einen Wiedererkennungseffekt: Man hat mich wahrgenommen. Eine neuere Form des Totengedenkens ist die Power-Point-Projektion der Namen der Verstorbenen während des Gottesdienstes, unterbrochen von Seiten mit Bildern und Gebeten.
© Thomas Raiser 2018 Stuttgarter Str. 10/1 ___________________________________________________________________________________________
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