Die „Cooperativa sociale Don Milani“ entsteht
Die Gründung der „Cooperativa sociale Don Milani“ geht zurück auf das Jahr 1982. Da gab es einen Kurs für Berufsbildung, an dem eine Gruppe von jungen Menschen mit Behinderungen teilnahm.
Diese Jungen und Mädchen ließen die „Welt der Normalen“ sehen, was Personen mit Hilfebedarf leisten können, wenn sie entsprechend unterstützt werden. Zuvor aus Scham in den Häusern versteckt, habe ich mich dafür eingesetzt, ihnen ihre Würde zurückzugeben.
In Acri gab es noch kein öffentliches Grün, und was es gab, war schlecht gepflegt. Die Kooperative schuf Grünflächen und sorgte für ihre Pflege. Es gab damals noch kein Sozialsegretariat für Invaliden und für junge Menschen. „Don Milani“ hat das geschaffen.
Die Leute gingen damals in den Wald, um illegal die Wipfel der Pinien zu kappen um sie als Weihnachtsbäume zu verwenden. Nun organisierte man den Verkauf von Tannenbäumen, und alle kauften. (S.11)
Zeit des Umbruchs
Ich machte den Fehler, dass ich dachte, eine Kooperative von benachteiligten Personen müsste von ihnen selbst geleitet werden, um perfekt zu sein. Jetzt weiß ich: Perfekt sind weder die Menschen mit verschiedenen Behinderungen noch die sogenannten Normalbegabten. Bestimmte Fähigkeiten braucht es unbedingt, und nicht alle können alles tun
Wenn ich ein Bild malen sollte oder ein Flugzeug steuern – ich könnte es nicht. Dafür kann ich viele andere Dinge.
Ich sprach mit den Leuten über mein Unbehagen als Gründer, der sich in einer gewissen Hinsicht nicht mehr als Schöpfer seines Werkes wiedererkannte. Zusammen suchten wir nach einem Projekt mit einem längeren Atem. Wir dachten daran, eine offene Einrichtung zu schaffen für Menschen in ganz unterschiedlichen Notlagen, offen für jeden, der sie benötigen würde.
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Giuseppina Gencarelli, „die Schwalbe“
Und so hat eine in sich verschlossene Frau die Horizonte erblicken können, die auch wir alle sehen. Die fertigen Werke sind schön anzusehen, aber es ist immer wichtig, die Anfänge zu verstehen. Der Funke aus dem sie geboren sind, dann verändert sich allmählich alles, und alles gerät in Bewegung, um das Ziel zu erreichen. Allerdings scheint mir, dass schon von Anfang an ein großer Horizont vorhanden war. Eines Tages rief mich Ofelia Capalbo an, eine ältere Unterstützerin, die mir in verbindlicher Weise sagte: Nicht das Land beim Friedhof kaufen, um das Haus der Gemeinschaft zu erstellen. Ich habe nämlich eine gefunden, die Gelände stiftet, und das liegt nahe am Ort!
Ich gehorchte und wartete mit Vertrauen auf den schicksalhaften Tag, der mich zu der geheimnisvollen Stifterin bringen sollte.
Sie öffnete mir spontan ihr Herz; dabei war sie mir beschrieben worden als extrem verschlossen, reserviert, ernst und misstrauisch, und löste bei mir Empfindungen aus, die geradezu entgegengesetzt zu den erwarteten Gefühlen waren.
Wie war dies alles möglich? Das fragen sich viele bis heute. Wenn ich richtig verstanden habe, kenne ich dieses „Warum“. Aber vielleicht gibt es kein Motiv. Bestimmte Dinge kommen, und es ist gut so, eben wie wenn man sich in jemanden verliebt. Die Erinnerung bleibt in meinem Herzen bewahrt. Giuseppina Gencarelli erblickte in mir eine Person, die imstande war, sie zu verstehen und sie zu lieben so wie sie war.
Ich gestehe etwas, das wenige wissen. Einen guten Teil meines Lebens war ich ein Träumer mit offenen Augen. Jetzt bin ich es nicht mehr, weil ich gelernt habe, die Träume zu verwirklichen, und das tue ich jetzt.
In meinen Träumen stellte ich mir immer vor, dass jemand – genauer: eine alte Frau – mich rufen lassen würde, um mir mitzuteilen, dass sie mir helfen wollte, einen Hafen zu erschaffen, in dem jeder anlanden könnte, der das nötig hätte, für einen Augenblick oder für das ganze Leben. Man glaubt es nicht, aber es war etwa dort, wo ich mir vorstellte, dass sie wohnen würde. Nur ein paar Dinge passten nicht zusammen: Ich hatte sie mir nicht ganz so mager vorgestellt, vielleicht etwas wohlhabender, dagegen hat mich der Anblick der Armut betroffen gemacht, einer frei gewählten Armut als Lebensstil, noch verstärkt nach dem Tod ihrer Schwester Lisa, die fünf Jahre vor unserem ersten Treffen verstorben war. Es waren zwei Schwestern, welche die Leute rondinelle – Schwälbchen - nannten ; sie waren immer zusammen wie siamesische Zwillinge, Halbwaisen vom Vater her und überbehütet von der Mutter, und man stelle sich ihren Schmerz vor als sie allein zurückblieb in einer Welt, die sie nicht verstand und die ihr feindlich gesinnt erschien.
Mir gegenüber öffnete sie ihr Herz und schenkte mir Vertrauen, wenngleich sie sich mit ihrem Rechtsanwalt Florestano Miceli del Faro aus Cosenza beriet, bevor sie mich empfing, welcher Informationen einholte und mich wohlwollend vorgeladen hat und zu einem Verwandten dritten Grades machte. Auf dem Fensterbrett fand ich eines Tages drei Namen geschrieben, welchen drei Telefonnummern entsprachen. Es waren die von Don Mazzi, von Don Ciotti und die von Don Gelmini; ihre letzte Hoffnung, jemand zu finden, der ihren Besitz übernehmen konnte, um daraus ein Werk für Hilfsbedürftige zu machen. Sie ist die erste Gründerin der „Comunità Don Milani“ und soll als solche in Erinnerung bleiben. Sie half mir, dem Projekt Fleisch und Blut zu verleihen mit Hilfe der Schenkung dessen, was sie besaß, und das haben wir dann noch vermehrt und veredelt. Sie vermachte uns ein Stück Land, das wir in den „poggio“ verwandelt haben; sie hat uns einen Palazzo hinterlassen, den wir zu restaurieren bisher noch nicht imstande waren, der aber seit Jahren unsere Gäste beherbergt hat. Sie hat uns 200 000 Euro hinterlassen, mit denen wir das Land hergerichtet haben und die Pfeilerstruktur des Gemeinschaftshauses gebaut haben.
Die Zustimmung der Leute interessierte sie nicht. Sie lebte in ihrer Mäßigkeit, in ihrer Strenge, in der Liebe und der Furcht Gottes. Mir schien mit ihr alles leicht, als ob das Schicklsal schon zu unseren Gunsten entschieden hätte. Ich erzählte ihr alles über m ich, über mein Leben, über meine Vergangenheit, meine Träume. Sie bedauerte, dass sie mich nicht früher kennengelernt hatte. Echt bald ließ sie mich die off-limits ihres Hauses überschreiten und zeigte mir die mit großer Sorgfalt gepflegten Dinge. Sie trieb mich an, sofort mit den Arbeiten am Gemeinschaftshaus zu beginnen.
Eines Tages sagte ich zu ihr, dass es mir lieber wäre, wenn vor dem Beginn die Schenkung vollzogen würde, damit alles seine Rechtmäßigkeit habe. Da antwortet sie verärgert: „Reicht dir nicht mein Wort?“ Angesichts der entwschiedenen Antwort beantragte ich unverzüglich die Genehmigung bei der Forstbehörde, das Gestrüpp entfernen zu dürfen und die ersten Maßnahmen in die Wege zu leiten., die darin bestanden, dass Straßen statt der kleinen Fußpfade realisiert wurden.
Wir begannen also, uns allem zu stellen, ausgehend von ihrer Vergangenheit, von der Beziehung zu ihren Eltern und zur Nachbarschaft, vor allem aber mit ihrer Schwester Lisa, die sie so liebte, dass sie kaum verkraftete, den Verlust anzunehmen. Ich tat alles, um ihr ihr Leid zu erleichtern, aber Worte genügten nicht. „Wenn Lisa da gewesen wäre, hätte sie die Gelder für das ‚Haus der Familie’ gesammelt.“ ´sagte sie öfter. Und ich erwiderte „Lisa ist schon länger von uns gegangen; jetzt liegt es an uns, an ihrer statt das fortzusetzen, wofür sie ein Leben lang gearbeitet hat.“ Tag für Tag half sie mir, die Kraft zu finden, um die Mauer der Gleichgültigkeit und der Apathie zu durchbrechen, die in einem überschaubaren Ort wie Acri jede soziale Initiative ersticken könnte.
Sie wurde traurig, wenn Leute, die sie für wohlhabend hielt, sich ihr verweigerten, oder die mir einen Beitrag für dieses Projekt verweigerten, das zum alleinigen Zweck ihres Lebens geworden war. Giuseppina war keine perfekte und keine einfache Frau, sie war reserviert und unnahbar, sie traute niemandem; nur wenigen Personen war es gestattet, die Schwelle ihres Hauses zu überschreiten. Mir vertraute sie blindlings. Sie wollte ihre Güter der Gemeinschaft überlassen, ohne zum Notar gehen zu müssen, und deshalb vertraute sie ihren letzten Willen dem Rechtsanwalt ihres Vertrauens an.
Sie war unermüdlich: Bis zuletzt wollte sie selbstgenügsam leben, und sie hat es geschafft. Sie war sparsam, aber nicht geizig. Sie war mit wenigem zufrieden; was darüber hinausging, legte sie für uns auf die Seite. Eines Tages erkrankte sie schwer, und wir entdeckten, dass sie ein schlimmes Leiden hatte, das ihr wenig Zeit ließ, um den Erfolg des Projektes zu genießen; ihr Tod war ein harter Schlag, doch er ließ mir immerhin die Kraft, die mir half, damit ich nicht einen einzigen Augenblick die Motivation verlor, die uns verbunden hat, und doch gab es ganz schwere Momente. Im Krankenhaus, als sie um Beistand gebeten hat, sagte sie mir: „Jetzt ist die Stunde da, in der du die erste große Erfahrung mit einer Schwerkranken machst.“ Ich wurde zum geduldigen und eifrig bemühten Krankenpfleger, ich tat für sie Dinge, die ich vielleicht nicht einmal für meine Mutter getan hätte. Ich lernte, wie man eine Person begleitet, welche diese Welt in Frieden verlassen möchte. Ja, da war Friede auf ihrem Gesicht, bevor sie von uns ging und als ich die Nacht über wachte in ihrem Palazzo. Als ich ihre vollkommene Kohärenz sah und erlebte, habe ich von da an begonnen, in meinem Leben einen größeren Sinn zu sehen und habe vieles verändert. (S. 15-18)
(Wird fortgeführt) |
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