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Cataldo
Perri
Bastimenti
Träume
und Schimären
zwischen
Tarantella und
Tango
(Schauspiel
von Cataldo Perri
über die
italienische Emigration
nach Argentinien)
Bastimenti
CD
Editoriale
Progetto 2000
Cosenza 2002
(Auszüge
aus S.109 - 122)
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Bastimenti:Vorüberlegungen
und Gedanken
von
Cataldo Perri
Fotografien
von festlich gekleideten Menschen. Mit Krawatte als Statussymbol, das
Gesicht lächelnd, als wollten sie die Verwandten der erreichten
sozialen Wohlhabenheit versichern. Oder mit den melancholischen und
traurigen Augen derer, die es nicht geschafft haben und denen es nicht
gelungen ist, das Trauma der Emigration zu besiegen.
Wie
viele dieser Fotos, im Lauf der Zeit mit Staub bedeckt, gibt es in den
Häusern Kalabriens, dem Land, das einen immens hohen Preis für
das Phänomen der Emigration bezahlt hat?
Zusammen mit diesem stummen Heer – und verbunden mit schmerzlichem
Empfinden – erscheint vor mir das Foto meines Großvaters,
das ich in einer alten Schublade meiner Mutter entdeckt habe. Er war
im Jahr 1924 nach Argentinien ausgereist, voller Hoffnung und Träume
.... Er besaß allein die Gewissheit, ein zäher und kräftiger
Bursche zu sein. ... Die Mäander des Lebens in Buenos Aires und
das unsichere Los der Emigranten haben sein Leben in einen Strudel des
Untergangs gezogen.
Meine Großmutter – im Delirium ihrer Alterswirrnis –
rief ständig nach der Rückkehr ihres Mannes, hatte unmittelbar
an Eva Peron geschrieben, vertrauend auf die Komplizenschaft
der Frauen, um ihrem Michele zu helfen und ihn zur Rückkehr
nach Hause zu bewegen.
Die Gestalt dieses Großvaters lebt seit jeher in der Vorstellung
meiner Familie, eingehüllt in eine Aura von Schuldigsein einerseits
und Verständnis andererseits.
In
der letzten Zeit begab ich mich auf die Suche nach Bruchstücken
seiner menschlichen Veränderungen.
Man hatte mir erzählt, dass er Zimmermann war und eine wunderschöne
Tenorstimme besaß, dass er gerne gesungen hat; und ich wollte
ihn mir gerne vorstellen, wie er Erfolg suchte auf dem Gebiet der Kunst,
wie er der Bühne der großen Theater entgegenstrebt. Aber
die allzu geringen Krumen des Erfolgs in seinem Leben haben ihn mir
offenbart als einen Menschen, der aufgibt, nunmehr alt und krank, der
nur noch singt bei den Festen der Landsleute. Hochzeiten und Taufen
- und Wein, so viel Wein bis zum letzten Stranden im Alkoholismus.
Dieses
sehr persönlich-intime und wechselhafte Schicksal hat mich dazu
bewegt, ein Lied mit dem Titel Argentina zu komponieren. Ausgehend
von diesem Lied, das allerdings nicht die ganze Komplexität dieser
Geschichte erfassen kann, wurde die Idee geboren, ein Schauspiel mit
dem Titel Bastimenti zu gestalten.
Das
Schauspiel ist vorgesehen mit einem Musikteil und einem Prosa-Part.
Die Musik auf der Überfahrt nach Buenos Aires ist der heimatlichen
Volksmusik entnommen mit allen alten und edlen Instrumenten der kalabresischen
Tradition: der Chitarra Battente, der Lyra, dem Dudelsack,
der Flöte, ... und ... die Tarantelle, die auf dieser
Reise ins Unbekannte zum Klingen kommen und dazu dienen, den Schmerz
der Abreise zu sublimieren und das Größtmögliche an
Träumen und Sinneseindrücken der Heimat zu bewahren. Und schließlich
ist da Argentinien, seine Tangos und seine Verheißungen.
Die Gruppe für ethnische Musik Agorà, die Philarmonia
Mediterranea, Armando Corsi, Mario Arcari, Sandro Meo, Luighi De Filippi,
Boris Stetka, Daniele Abbado, Lutte Berg, Beppe Quirici, Giovanni Turco,
Rosa Martirano und Cataldo Perri haben sich zu diesem
Abenteuer eingeschifft mit großem Enthusiasmus und Leidenschaft.
Das
Ergebnis war faszinierend, weil zum ersten Mal die Instrumente unserer
Tradition mit einem Sinfonieorchester konfrontiert waren. Das Ziel dieses
umfassenden Projektes liegt nicht zuletzt darin, unsere Geschichte und
unsere traditionelle Musik über die regionalen Grenzen hinauszutragen,
um ihr die volle Würde zu verleihen, die sie gleich dem spanischen Flamenco und dem argentinischen Tango verdient.
...
Ein
Entwurf für das Schauspiel Bastimenti
Das
Schiff, das die Anker lichten wird nach Argentinien, ist belebt durch
die Aufgeregtheit und das Durcheinander der Reisenden, die sich dem
Meer für 30 Tage und Nächte aussetzen müssen. Unzählige
typische Namen des Südens werden in diesem Durcheinander geschrien.
Der herzzerreißende Heulton der Schiffssirene lässt alle
verstummen und erinnert, dass nun schon die Zeit der Melancholie und
der Zweifel beginnt. ....
Auf
der Brücke des Schiffs ist ein Emigrant allein mit seinen Gedanken.
Er gibt sich Mühe, die Konturen und Formen seiner Frau und der
beiden Mädchen, die auf der Kaimauer nichts ahnend spielen, mit
seinen feuchten Augen zu focussieren. Der klagende Ton der Sirene und
die bedrohliche Silhouette des Schiffs dürften für die Kinder
ab diesem Tag ein bleibender Albdruck ihrer Kindheitsträume geworden
sein. ...
Die ersten Tage werden endlose Stunden mit sich bringen, zu viele Minuten.
Zu stark wird das Warten auf einen Brief sein, und ich spüre noch
auf meiner Haut den animalischen Duft des Körpers meiner Frau und
die Launen unserer letzten gemeinsamen Nacht. Und wenn sich dieser Duft
allmählich verflüchtigt hat und der Melancholie Raum gibt,
die die einzige Reisebegleiterin eines jedes Emigranten ist, wenn der
Geschmack ihrer Haut mich verlassen haben wird, was wird dann bleiben
von meiner Identität, meiner Familie, von meinem Leben?
Wird dieser miese Pappkoffer stark genug sein um meine Träume zu
behüten? Wird er stark genug sein, um die Düfte und die Sonne
meines Landes zu konservieren?
Wird er stark genug sein, den Geruch meines Hauses zu bewahren, oder
wird auch er sich verlieren und sich vermischen mit den anonymen Gerüchen
der Welt?
...
Und dann Argentinien, seine
Geheimnisse, seine Passionen, seine Tangos, und jener Italiener mit
Namen Caruso und seine Stimme, ein Wunder der Natur und der Emotionen.
Viele im Ort sagen, dass meine Stimme derjenigen des großen napoletanischen
Tenors ähnelt, mit Schmelz und Wärme. Wer weiß, ob wir
nicht eines Tages gemeinsam singen werden, um Erfolg und Ehre zu teilen.
Welcher Schauer durchströmt mich jedes Mal, wenn ich an diesen
Traum meiner naiven Kindheit denke. Aber ich werde mit meinen starken
Armen arbeiten; mein junger und kräftiger Körper ist die einzige
Sicherheit und Resource, und dann könnte mein heimliches Bestreben
diese Reise voller Zweifel und Ängste rechtfertigen ...
Seine
Gedanken werden unterbrochen von Gesängen der Landsleute, die in
der ärmsten Passagierklasse die Enge der Reise zu verjagen suchen.
Mit Tarantella und dem starken Wein Kalabriens verdrängen sie die
Tränen des Schmerzes, die vermischt sind mit der Gischt des Meeres.
Die Stimmung breitet sich immer mehr aus, der Wein hat das Wunder vollbracht,
ein Lied aus Cariati wird mit Augenzwinkern von einem Jungen und einem
Mädchen gesungen (U Merciaioli). Nun ist die Atmosphäre endgültig
gelöst, und es ist Zeit für eine ausgelassene Tarantella.
(U barilli, Tarantella di Cariati, A pizzica, Tarantella Marinara).
Michele zeigt sich auf der Brücke des Schiffes und beobachtet das
Meer.
„Wie tröstlich ist es, eine Tarantella zu hören und
die farbenfrohe Ausdruckkraft meines Volkes, wie tröstlich ist
es zu sehen., wie einer dem andern mit Freuden eine na pitta ccuri
jiti, eine soppressata anbietet. Wie tröstlich ist
es, mit meinen Reisegefährten diese Qual zu teilen, diese Geburtswehen
hinein in eine neue Welt. Ich lasse dich zurück, Mare Mediterraneo,
raffinierte Ordnung unterschiedlicher Kulturen, Meer der Ankünfte
und der Hoffnungen, der Trauer und der Abschiede. Ich lasse diese Wellen,
uralter Perser-Teppich der sarazenischen Segler, voll mit Menschen,
die aus ihrem vertrauten Land heraus gebrochen wurden. Ich lasse dich,
Mittelmeer, ... ich lasse deine arabischen Klänge, das Blut des
Flamenco, die Lebenslust eines Sirtaki und einer Tarantella, Meer der
homerischen Utopien, Meer der Legenden wie diese von Laura und dem Sultan
und ihrem zärtlichen Kuss unter dem Schein des ersten Sommervollmonds
in der Nacht der verliebten Wanderer.“
Man erkennt, wie in einer Luftspiegelung, Frauen, in weiße Tücher
gehüllt, tanzend, um sich in stolzer Scham in ihrer ersten Nacht
der Liebe anzubieten.
Morgen wird Argentinien sein, morgen wird Buenos Aires sein. Es ist die 30. Nacht auf dem Meer und die letzte auf dem Schiff.
Ab morgen werden die Reisekameraden mich nicht mehr mit ihrem Wein,
mit ihrer Musik trösten. Werde ich stark genug sein, werde ich
dazu fähig sein, meine Gefühle und Empfindungen wie in einem
Schrein zu bewahren? Gelingt es mir, meine Familie vor dem Elend zu
bewahren, werde ich noch würdig sein, „Vater“ genannt
zu werden, werde ich fähig sein, mich nicht zu verlieren in den
Mäandern des Lebens und in den Kellern des Überlebens? Ciao Buenos Aires, schon sehe ich dich, wird es Liebe sein zwischen
uns, oder werden wir uns für immer hassen? Und meine künstlerischen
Erwartungen, was wird damit sein?
Wird meine Stimme in den berühmten Theatern erklingen, oder wird
sie sich in übelbeleumdeten Quartieren verlieren?
Werden mich die Schmeicheleien deiner Tangos und deiner Bandoneons besiegen?
Wirst du mir eine zärtlich liebende Mutter oder wirst du eine treulose
Peinigerin meiner Gefühle sein? Wie winzig ist ein Mensch im fremden
Land! Und wie groß ist das Meer, das dich vom Meer trennt?
Buenos
Aires, 20 Jahre später, in einem Tangosaal im Quartier Palermo.
Die verzaubernden Klänge des Tangos erwärmen die Herzen von
Argentiniern und Italienern. Man trinkt Wein und schaut voll Bewunderung
auf das Orchester, während einige Tänzer sinnlich Tango tanzen
und die Italiener sich von der Erotik des Tanzes umgarnen lassen. In
einer Atmosphäre der Freude und Komplizenschaft werden einige Emigranten
eingeladen, etwas aus ihrer Heimat zu singen. Napolitanische, genuesische,
kalabresische Lieder schwirren durch den rauchgeschwängerten Saal.
„Auch ich will heute Abend singen, schon 20 Jahre sind vergangen
seit meiner Ankunft in Buenos Aires, und es gab keine Liebe. Nein, es
gab keine Liebe. Zehn Jahre lang konnte ich widerstehen, das Gefühl
meiner Familie wach halten. ... Jetzt laden sie mich ein, bei den Festen
meiner Landsleute zu singen. Bei Taufen, bei Hochzeiten – und
bei Wein, soviel Wein, er ist mein einziger Begleiter geworden.
Marianna hat mir vor ein paar Tagen geschrieben und mir mitgeteilt,
eine Tochter würde heiraten, sie würde mir Geld schicken für
die Rückfahrt. Sie hat schließlich an Evita Peron geschrieben um mir zu helfen, meine zärtliche, starrköpfige
Frau. So viele Stickereien am Webstuhl des Wartens ...Wie kann sie einem
Mann zumuten, sich den eigenen Zusammenbruch einzugestehen?“
Enrico Caruso machte
eine Tournee durch Argentinien. Seine Plakate tapezieren die ganze Stadt.
Das bedeutendste Theater wird zur Schaubühne seines Triumphes – und von seinem Traum bleibt nichts, vom gemeinsamen Auftritt
und dem ganzen Rest.
Das
Innere des Theaters ist zu sehen, das dem großen italienischen
Tenor als Gast huldigt. Aber Michele schafft es nicht, ihn zu sehen;
er hat kein Geld für eine Eintrittskarte. Caruso singt
ein wunderbares Lied aus seinem napoletanischen Repertoire – und er steht an einer Mauer gelehnt vor dem Theater, der Kälte
trotzend mit einer Flasche Wein. ...
Nun ist er allein auf der Mole des Hafens und schaut der Abfahrt der
großen Schiffe nach Italien zu. Er macht das jeden Abend, auch
jetzt, wo er alt und krank ist. ...
"... Ich erinnere mich an diese kleine Welt, die mich hervorgebracht
hat, die sich in der Erinnerung mit den schönsten Kleidern ausschmückt
wie ein schamhaftes und zugleich leidenschaftliches Landmädchen.
Der Geschmack der Speisen, die Leckereien von Weihnachten, seine Wiegenlieder,
seine Serenaden, der alte und schmelzende Gesang der Frauen an Ostern
in den Kirchen, die mit jenen Zauberblumen ausgeschmückt sind,
erblüht durch ein Wunder unter den Betten unserer Großmütter.
Üble Krankheit Nostalgie! ... Von
meinen Träumen kehrt immer einer wieder, ich singe in einem elenden
Lokal, einzige und letzte Schaubühne meiner künstlerischen
Ambitionen, nach dem einzigen Repertoire, das die Kunden reklamieren,
nämlich Napoli und Leidenschaft, schließt der Abend mit einem
Wiegenlied, das ich einst gesungen habe für meine Kleinste, und
das nur sie und ich kennen.
Während ich die letzte Strophe singe, erhebt sich von einem Tisch
eine junge Frau und intoniert mit mir zusammen dieses unser ausschließliches
Geheimnis, ergreift meine Hand mit der Kraft und Zärtlichkeit,
wie sie nur eine Tochter geben kann. Sie hatte mich in ganz Argentinien
gesucht und hatte mich dank diesem Liedchen gefunden.
Ich kann nicht sagen, welches Gefühl in diesem Augenblick mächtiger
war: das einer übergroßen Freude, eine Tochter wieder gefunden
zu haben, oder die Scheu, mich zu offenbaren und zu zeigen als ein Vater,
der versagt hat. ... Und dann das Erwachen, meine Weinflasche und das
Schiff, meine Herkunft in meinen Händen zusammengedrückt und
meine Hoffnung auf das Meer im Hafen von Buenos Aires.
Ciao, liebes Schiff, danke für deine diskrete und nutzlose Einladung,
die du mir jeden Abend mit Beharrlichkeit überbracht hast; auch
das hat mir geholfen zu überleben auf der kalten Hafenmole, du
wolltest mich in deinen mütterlichen Schoß nehmen und mich
meinem Land wieder zurückgeben, danke, danke ..."
" ... Jetzt bin ich alt und möchte mich nur noch an eines
erinnern: Ein Kind, das ein Stück Brot isst mit einem Tintenfisch,
der Hände und Gesicht schwarz färbt.
Geh, altes Schiff und bringe den Geschmack Argentiniens zu meinen Kindern;
bewahre für sie den Geruch meiner Melancholie und küsse mein
Land...
Geh und empfange in deinem Schiffsbauch Tango und Tarantella und lass von deinen Treppen niemals mehr den Schmerz der Niederlage
herabsteigen."
Das
zum Fest geschmückte Schiff empfängt die Reisenden, die glücklich
darüber sind, nach Italien zurückkehren zu dürfen. Tango
und Tarantella begleiten ihre Rückkehr.
Gewidmet allen, die es nicht geschafft haben.
Ausschnitt
aus der Textfassung
(Abschluss von BASTIMENTI - das Gespräch mit dem Engel)
von Boris Stelka
(VIDEOPROJEKTION)
Giuseppe
Italiano kehrte nie mehr nach Kalabrien zurück. Giuseppe Italiano
schickte nie mehr ein Lebenszeichen nach Kalabrien. Giuseppe Italiano
schnitt jeden Kontakt zur Welt ab. Er wurde für vermisst gehalten.
Er wurde für tot gehalten.
EIN MENSCH
(Trägt die zwei Persönlichkeiten vor - Giuseppe
Italiano und den Engel - , ohne sich von seinem miserablen Lager zu
erheben.)
Wer bist du?
Ich bin gekommen, um
dich zu holen.
Wer bist du?
Es hat keine Bedeutung,
zu wissen, wer ich bin.
Geh weg, verschwinde, lass
mich in Frieden; das hier ist mein Zuhause.
´ Steh auf.
(Der Mensch hat einen erschrockenen Blick)
Ich kenne dich nicht. Ich
habe dich noch nie zuvor gesehen.
So kann es nicht weitergehen.
Du musst mit mitkommen.
Ich höre dich nicht (ruft laut)
Es ist alles vorbei.
Für dich ist es eine Erlösung. Gehen wir.
Glaubst du, du könntest
mir Anweisungen geben? Fünfundzwanzig Jahre lebe ich hier, aber
so hat noch keiner mit mir gesprochen.
Ich bin anders als alle
anderen. Ich bringe den Frieden.
Darauf falle ich nicht herein.
Du musst einer von denen sein, die arme Leute betrügen.
Giuseppe Italiano, sag
mir, als du im Sommer 1924 in Buenos Aires angekommen bist, dachtest
du damals, dass du unter den Ausgestoßenen enden könntest?
Du kennst meinen Namen ...
Ich weiß viel über
dich.
Wie kommt das?
Antworte auf meine Frage:
Hast du das gedacht oder nicht?
(Lange Pause)
Ich dachte, ich würde
es schaffen, mit meinem Arm und mit meiner Stimme. Dass ich es schaffen
würde, meine Familie nach Argentinien zu holen. Dass ich eines
Tages nach Kalabrien zurückkehren würde, um dort meine letzten
Lebensjahre zu verbringen. Der Gedanke, beim Abschaum zu enden, kam
mir erst später, zehn Jahre nach meiner Ankunft in Buenos Aires,
als mir die Schuldgefühle den Lebenswillen raubten.
Wie ist es passiert?
Ich weiß nicht, die
Erinnerung in mir ist zusammengebrochen, als ob mir jemand ein Loch
in den Bauch gebohrt hätte, ich habe kaum mehr geschafft, weiter
zu machen.
Du hättest um Hilfe
fragen können.
Ich hatte keine Freunde oder
Verwandte.
Du hättest jemand
auf der Straße anhalten können, eine Kirche betreten.
Ich habe mich geschämt.
Hast du irgendwann daran
gedacht, nach Kalabrien zurückzukehren?
Ich hatte kein Geld.
Was wolltest du sagen
mit „Mir entschwand der Lebenswille“ ?
Das scheint mir doch klar
zu sein.
Nicht für mich.
Alles ließ mich gleichgültig;
die Tage, die keine Tiefe hatten, waren furchtbar.
Hast du an deine Kinder
gedacht?
Manchmal.
Interessiert es dich,
wie es ihnen geht?
Nein
Würdest du gerne
zu ihnen zurückkehren?
Nein.
Hast du je daran gedacht,
dich in Argentinien neu zu verheiraten?
Nein
Giuseppe, und jetzt folge
mir und mach keine Geschichten, und du wirst aufgehoben
sein.
Bist du ein Engel?
Ich bin einer, der dir
helfen will. Ich habe es satt zu sehen, wie du zwischen den alten Zeitungen
schläfst und die Reste des Club Italiano vertilgst.
Niemand hat sich jemals für
mich interessiert, bis auf dich heute, Warum tust du das?
Um der Güte willen.
Das verstehe ich nicht so
richtig.
Ich tue es, weil es gut
ist, gut zu sein.
(Der Mensch reißt seine Augen auf.)
Wohin gehen wir?
Wo findest du all das,
was das Leben dir nicht gegeben hat, und noch viel mehr dazu?
Wiederhole das noch mal.
Du wirst Frieden haben.
Du machst dich über
mich lustig.
Du weißt, dass
es nicht so ist. Komm.
(Der Mensch fällt tot zu Boden.)
MUSIK BRIZA
DI CALABRIA
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