Home
|
Assunta
Scorpiniti
Cariati e la sua gente
(Cariati und seine Bewohner)
Edizione Progetto
2000
Cosenza 2002
Assunta
Scorpiniti ist Lehrerin an der Scuola Elementare in Pietrapaola
und engagierte Journalistin und Buchautorin in und aus Cariati. Ihr
Vorwort beginnt mit einer Vision: Sie hat Hoffnung, dass ihre Heimatstadt
eines Tages die Würde wiedererlangt, für alle ihre Kinder eine
einladende Mutter sein zu können.
So begibt sich Assunta
Scorpiniti auf Spurensuche anhand persönlicher Lebenswege und familiärer
Erinnerungen, die eingebettet sind in die gemeinsame Geschichte, jeweils
bedingt durch individuelle Umstände, besondere Ereignisse, Gewohnheiten,
Bräuche, Traditionen und Gefühle sowie der je eigenen Art sich
auszudrücken.
Zugleich ist das
Buch eine Wanderung durch die jüngere Geschichte Cariatis und seiner
Bewohner.
Die Vor- und Grußworte
Dott.
Demetrio Guzzardi, Verleger des Buches und selbst bis zum 8. Lebensjahr
in Cariati aufgewachsen, schreibt in seinem Vorwort:
Cariati
und seine Geschichten sind mir immer gegenwärtig. Zu viele Erinnerungen
sind es, die mir meine Mutter, Giulia Ciccopiedi, erzählt hat: Bei
jedem Anlass gab es etwas Passendes aus den Weisheiten Cariatis zu erzählen.
Von dem
Ort meiner Kindheit habe ich in Erinnerung behalten das tiefblaue Meer,
mit dem eigenartigen Phänomen der Untiefen: Mit den Füßen
den Sand zu spüren, umgeben von tiefem Wasser, das war ein erhebendes
Gefühl. Unvergessen ist die Erinnerung an eine Sommernacht, als meine
Schwestern und ich uns mitnehmen ließen auf die Boote zum Fischfang;
wenn ich die Augen schließe, dann sehe ich vor mir wieder das Geglitzer
der Sardinenschuppen in den Netzen im Schein der Lampen, eine einzigartige
Erfahrung. ... Eine
andere Erinnerung, die ich immer mit Cariati verbinde, ist das wohlriechende
Aroma von Brot mit frisch gepresstem Öl aus der Mühle meines
Großvaters Genesio. Mit kundiger Hand goss er das Öl auf die
Brotstücke. Noch tropfend trugen wir sie nach Hause, rösteten
sie und streuten eine Prise Zucker darauf. Sicher habe ich auch andere
hausgemachte Dinge genossen, doch dieses Brot mit Öl und Zucker bleibt
mir im Gedächtnis.
Demetrio
Guzzardi erinnert dann weiter an seinen Vater, Costantino Guzzardi, von
1956 bis 1964 Lehrer in Cariati, der seine Schülerinnen und Schüler
nötigte, das Wörterbuch abzuschreiben, damit ein jeder sein
eigenes Exemplar besaß.
Guzzardi
würdigt dann die einfühlsame und gründliche Arbeit von
Assunta Scorpiniti. Ihn verbindet mit ihr der Wunsch, dass Cariati eine
Stadt sein möge, in der die Kultur und die Beschäftigung mit
der Historie ein Schwungrad für eine Entwicklung hin zu einer noch
besseren Lebensqualität sind.
In
einem weiteren Grußwort würdigt der Chefredakteur der Zeitung
Il Crotonese die engagierte journalistische Arbeit der Autorin.
Neben Assessore Giuseppe Santoro, zuständig für Fragen
der Emigration in Cariati, begrüßt Cariati's Bürgermeister
Prof. Domenico Arcudi dieses Buch als Ansporn für alle,
die diesen Ort mögen und sich für eine gute Zukunft einsetzen.
Die Emigration
Besonders
in den Migranten in Vergangenheit und Gegenwart, die von Cariati ausgewandert
sind, findet die Autorin diese Synthese von traditioneller Identität
und gelebtem Fortschritt, weil die Auswanderer im Spannungsfeld von Ursprungs-
und Aufnahmekultur besonders herausgefordert sind, eine eigene Identität
zwischen traditioneller Verwurzelung und aktueller Auseinandersetzung
herauszubilden.
Assunta
Scorpiniti beginnt mit dem Schicksal des eigenen Großvaters Leonardo
Scorpiniti, der 1906 nach New York ausgewandert und erst 1929 nach
Cariati zurückgekehrt ist. (S. 19-21). Nach dem Zweiten Weltkrieg
ging insbesondere die Auswanderung nach Argentinien weiter, wo die Cariatesi
zahlreich in den Vierteln Lanusse und Pompei (Buenos
Aires) wohnten.
In den Fünfzigerjahren gab es eine Auswandererwelle nach Deutschland
(Frankfurt, Hagen, Stuttgart ...). Anhand von Einzelschicksalen dokumentiert
sie die Lebenswege, so den von Pasquale Parrotta in Kanada und
Rocco Raffaele Trento bei Rom.
Sie verschweigt
auch nicht tragische Einzelschicksale wie das von Maria, der
Mutter von Juan Carlos Grillo, die im Jahr 1922 allein nach
Argentinien aufbrach, um den verschollenen Ehegatten zu suchen. Dort
musste sie dann feststellen, dass der dort eine neue Familie gegründet
hatte. Da ihr die Rückkehr vorerst abgeschnitten war, heiratet sie
den Landsmann Francesco Grillo, mit dem sie drei Kinder hatte.
1975 kam Juan Carlos Grillo nach Cariati zu Besuch, ein Poet
und Musiker, und vereinte in einem gemeinsamen Konzert mit Cataldo
Perri Tango und Tarantella – ein Motiv, aus dem Jahre später
Cataldo Perri’s Musikspiel Bastimenti erwachsen
wird.
Die
Autorin geht dann ein auf weitere Auswandererfamilien und beschreibt das
Schicksal der Familie De Filippis in Amerika, geht dann
näher ein auf Saverio Ammendola, der nach Hagen
in Deutschland emigriert ist. Ein Kapitel widmet sie dem Aufstieg
von Giuseppe Graziano (geb. 1946) als Unternehmer in Torino
in den 70er Jahren. Alfonso Fazio, Grünen-Stadtrat und Kreisrat
in Waiblingen seit vielen Jahren, wird ausführlich vorgestellt.
Weiter geht Assunta Scorpiniti auf die Situation der in Norditalien lebenden
und arbeitenden Cariatesi ein. Sie beschreibt das Phänomen der Neuen
Auswanderung: Häufig sind es junge, gut ausgebildete Erwachsene,
die in Norditalien Beschäftigung suchen und finden.
Assunta Scorpiniti dokumentiert die Besuche deutscher Bürgermeister
aus befreundeten Städten, so Hans Striebel aus Bühl/Baden
und Christoph Palm aus Fellbach. Sie berichtet über
den Besuch von Erzbischof Msgr. Andrea Cassone mit Don Rocco
Scorpiniti und Don Mimmo Strafaci in Fellbach sowie
den Besuch einer Fellbacher Delegation in Cariati und das Vereinsleben
der Azzurri Fellbach mit ihrem Vorsitzenden Giovanni Calabrò.
Meer und
Kunsthandwerk
In
einem zweiten Teil (S. 93) geht sie ein auf die Aspekte des Meeres und
der Fischerei. Sie beschreibt die Arbeit der Fischer, lässt sie über
Freuden und Sorgen zu Wort kommen und befasst sich mit dem noch nicht
fertig gestellten Hafen von Cariati. Es gibt momentan zwei Fischereikooperativen:
Die Genossenschaft Russo Leonardo mit 40 Mitgliedern (Sprecher
Giovanni Martillotti) und Lo Squalo mit mehr als 50
Mitgliedern unter Leitung von Domenico Paturzi.
Der
"Dekan" der Fischer von Cariati, Zzù Linardo
i Midia, 77 Jahre, erzählt:
Seit ich
14 bin, habe ich meine Füße ins Wasser gesteckt und tue es
immer noch. Eines Tages waren wir 15 Meilen vor der Küste, zu acht
auf einem kleinen Ruderboot, um Meerhecht Merluzzo zu fangen.
Ein unvorhersehbares Gewitter kam auf, und eine riesige Welle ließ
die Barke kentern und wir landeten im Meer. Unser Glück war ein Boot
mit sizilianischen Fischern, die im gleichen Abschnitt arbeiteten; sie
nahmen uns auf und brachten uns ans Ufer. Das Boot haben wir am nächsten
Tag wiedergeholt. Zeitweise haben wir im Golf von Taranto gearbeitet.
Es gab dort nur wenige Fischer. Wir übernachteten in Zelten bei den
Booten; und alle 40 Tage kehrten wir nach Hause zurück. Die Ruderboote
waren riskant, man musste sich mit Intelligenz orientieren, und die Frauen
blieben immer zurück con i capelli alle mani wegen der großen
Gefahren.
Im
folgenden wird im Buch eingegangen auf die Schiffbau-Tradition sowie die
Geschichte und Gegenwart der Textilfertigung. Noch gibt es Frauen, welche
die alten Techniken und Muster kennen und weitergeben könnten für
eine örtliche kunsthandwerkliche Industrie.
Ein weiteres Handwerk, das Assunta Scorpiniti vorstellt, ist die Töpferei
mit dem letzten verbliebenen Meister Leonardo De Dominicis in
der via Como. Schließlich geht es um die Situation der
Landwirtschaft.
Persönlichkeiten
aus der jüngeren Geschichte Cariati’s
Es
folgen einige Rückblicke auf berühmte Cariatesi, so der Journalist
Gaetano Natale (1884 – 1961); Leonardo Venneri Natale,
Giuseppe Selvaggi – lauter Persönlichkeiten, die sich
im Bereich von Politik, Kultur und Publizistik verdient gemacht haben.
Assunta
Scorpiniti geht dann ein auf den früheren Bischof von Cariati, Eugenio
Raffaele Faggiano(1877 – 1960), Bischof von 1936 bis 1956.
Er wurde
damals Bischof, um eine verpfuschte Diözese wieder zu beleben und
zu leiten. Seinem Vorgänger, Bischof Msgr. Giuseppantonio Maria
Caruso aus Petilia Policastro gelang es nicht, eine angemessene
Beziehung zu den ihm anvertrauten Seelen zu gewinnen, und das in einer
Zeit, in der durch die anhaltenden schlimmen Folgen des ersten Weltkrieges
die Gemüter der Menschen sehr empfindlich waren. Die Entfremdung
zwischen Bischof und Gläubigen fand einen traurigen Höhepunkt
am Karfreitag 1925, mit tragischen Konsequenzen.
Luigi Ciccopiedi, ein Augenzeuge, erzählt: "Ich
war ein Kind und befand mich auf dem Corso XX Settembre vor dem
Haus gegenüber dem Palazzo Vescovile, wartete auf die Ankunft
der Prozession des Cristo Morto, begleitet von der Madonna
Addolorata, die seit urdenklicher Zeit an der Stelle anhalten sollte,
wo die Kapelle S. Antonio aus dem 16,. Jahrhundert steht. Die
Gläubigen hatten sie prächtig geschmückt, in Erwartung
des bischöflichen Segens. Die Prozession hielt aber nicht an, und
die schnell entfachte Diskussion geriet zu einem fürchterlichen Streit,
in den viele Personen verwickelt waren. Im Ort erinnert man sich an eine
Ohrfeige, die der Bischof offensichtlich direkt ins Gesicht bekam. Ich
sah dann den Maresciallo der Carabinieri, der das Schwert zog,
um die Ordnung wiederherzustellen. Mehr sah ich nicht, weil mich ein zupackender
Fischer (Giuseppe Zolli) heimbrachte. Das Vorkommnis hatte unter
anderem zur Folge, dass der Bischofsstuhl in Cariati für
11 Jahre unbesetzt blieb." - Der
Nachfolger, Msgr. Faggiano (gestorben 1960), ist bis heute sehr
beliebt, setzte ungeheure pastorale Aktivitäten in Bewegung und soll
selig gesprochen werden.
Gewürdigt
wird dann auch Mons. Orazio Semeraro, Bischof von Cariati
in den Jahren 1956 bis 1967.
Unvergessen
ist auch der frühere Bürgermeister Daniele Franza,
der das Amt in den Aufbaujahren 1952 bis 1961 innehatte. In diese Zeit
fiel die Errichtung wichtiger Schulbauten, vor allem auch die Gründung
der Fischereikooperative für die ca 200 Fischer und ihre Familien,
was auch dringend notwendig war, weil die Konkurrenz mit motorisierten
Booten bereits einen Vorsprung besaß. Er erkannte die notwendigen
Veränderungen der damaligen Zeit. Daniele Franza war eine
äußerst beliebte Persönlichkeit, war mitten unter den
Leuten daheim und oft mehr Freund als Bürgermeister
Weitere
Lebensbeschreibungen folgen, u.a. die von Luigi Bisanti, dem
Verfasser von Cariati .. un giorno und ‘merica,
dann die des Architekten Saverio Liguori.
Die Zukunft
von Cariati
Die
Renovierung des Castello Venneri, das bruzische Grab im
Ortsteil Salto (das zur Zeit durch eine Zufahrt erschlossen wird)
sowie die Wahl Cariati‘s unter die 305 schönsten Städte
Italiens werden als Zukunftsprojekte genannt. Weitere Themen sind das
Kirchlein S. Filomena am Friedhof, die Nekropolis unter
der Kathedrale, der Umbau des früheren Seminars in ein Ostello und
die Gestaltung der neuen Piazza dei Lavoratori del Mare (Piazza
der Arbeiter des Meeres= Fischer). Zudem beschreibt sie die Bemühungen
von Prof. Franco Liguori, Il cammino degli dei (einen
Weg der Götter) zu begründen, der sich auf den Spuren
der alten Magna Graecia bewegt. Es folgt ein Kapitel über
die Nachbarstadt Cirò und einige Ausführungen über
die traditionelle Küche in Cariati.
Unter dem Titel Ein einfacher Glaube beschreibt die Autorin die
religiösen Traditionen in Cariati: Die Passione, die Feste
S. Cataldo, S. Rocco und S. Leonardo.
Ein überaus aktueller Abschnitt sucht das Gespräch mit den in
Cariati lebenden Muslimen im Fastenmonat Ramadan. Die Muslime
gehen bisher in auswärtige Gebetshäuser zum Gebet. Der Artikel
greift die zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen Christen und Muslimen
insbesondere in der Fastentradition auf. Weitere Kapitel widmen sich der
Folklore, den Reimen und Liedern, der Tarantella, der Chitarra
Battente, der Kapelle Citta di Cariati, den Musikern
Cataldo Perri und
Pietro Minutolo sowie zeitgenössischen Musikgruppen der
Stadt. Ein Kapitel bezeugt die literarische Tätigkeit von Aldo
Iozzi (Crotone Milano), ein neu erschienenes Buch über die Familie
Spinelli sowie verschiedene bildende Künstler aus und in
Cariati wie Alfonso Caniglia, Gina Faragò, Luigi Fuoco
und Nicola Ianelli, nicht zu vergessen den jungen Forografen
Fortunato Caracciolo.
Fasst
man alles zusammen, so entsteht tatsächlich ein bunter Bilderbogen,
der alle Lebensbereiche der Menschen in und aus Cariati umfasst.
Auf diese Weise ist es Assunta Scorpiniti tatsächlich gelungen, etwas
einzufangen von dem, was sie nennt die Werte der Tradition neu erfinden
in konkreten Lebensprojekten unserer Zeit.
Demnächst wird von ihr ein weiteres Buch erscheinen, in dem die Situation
der Auswanderung anhand von Lebensschicksalen umfassend dokumentiert wird:
Calabria altrove.
|