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SAN
CATALDO IN FELLBACH
700
Cariatesi mit
der Statue von San Cataldo unterwegs
auf den Straßen Fellbachs
Am Samstag/Sonntag 17./18. Juni 2006
unternahm die Statue von San Cataldo/Cariati ihre erste Auslandsreise,
um die Landsleute in der Emigration zu besuchen. Außerplanmäßig
fand eine "Festa di San Cataldo", des Schutzheiligen von
Cariati, in
Fellbach/Stuttgart statt. Zu diesem Anlass kam die Statue von San
Cataldo mit einer größeren Delegation.
Es nahmen teil der Vizebürgermeister von Cariati, Dott. Cataldo
Perri in Vertretung des neu gewählten Bürgermeisters von
Cariati, Avv. Giovanni Filippo Sero, der aus wichtigen familiären
Gründen verhindert war; weiterhin zählten zur Delegation
Pfarrer Don Renzo Bagarolo sowie Provinzialrat Leonardo Trento, außerdem
Rita Cosenza, die erste Stadträtin in Cariati überhaupt,
sowie die Folkloregruppe "Città di Cariati".
Das Fest fand statt im Rahmen der Fellbacher "Fiesta International"
.
Die
Ankunft von San Cataldo
Da
werden viele Autofahrer auf der Autobahn zwischen Kalabrien und Wendlingen
gestaunt haben, als ihnen ein Bischof in vollem Ornat die Hand mit
dem V-Siegeszeichen entgegenstreckte. Erst auf den zweiten Blick dürften
sie entdeckt haben, dass es sich um eine in hellblau gehaltene hölzerne
Statue war: Angeschnallt wie ein ordentlicher Buspassagier kam San
Cataldo am Samstagvormittag, 17. Juni 2006 um 9 Uhr mit einem Sonderbus
in Fellbach an.
Nicht
nur San Cataldo verließ den Bus sondern auch die umfangreiche
begleitende Ausstattung für das Tragegestell und den Baldachin.
Vier mit Goldblech belegte Säulen wurden auf dem Tragegestell
befestigt und verschraubt; auf die Säulen wurde dann ein kleiner
Baldachin mit einem Kreuz befestigt, so dass die Statue einen würdigen
Rahmen bekam. Pech nur, dass die beiden Fellbacher Kirchen für
solche Persönlichkeiten nicht gemacht sind: Der Baldachin musste
sowohl für die St. Johannes-Kirche als auch für die Maria-Regina-Kirche
am nächsten Tag bei der Prozession abgenommen werden.
Gleich
nach der Ankunft bezog die Statue ein erstes Quartier in St. Johannes.
Rund 30 Cariatesi schmückten die Statue mit Blumen.
Gutes
Wasser soll Cariati und Fellbach verbinden - Offizielle Begegnung
Cariati - Fellbach
Am
Samstag um 17 Uhr fand im Gemeindehaus Franziskusheim eine offizielle
Begegnung zwischen den Gästen aus Cariati, Vertretern der Stadt
Fellbach sowie der St. Johannes-Gemeinde und der ital. Gemeinde "Maria
Regina" in Fellbach statt. Auch von auswärts waren viele
Cariatesi zu diesem Treffen gekommen.
Von Seiten der Stadt nahmen Herr Oberbürgermeister Christoph
Palm und Frau Marianne Berhalter als Leiterin der Stabsstelle Migration
bei der Stadt Fellbach teil.
In
seiner Begrüßung wies Pfarrer Zipfel auf die gewachsenen
Beziehungen hin, die in den gegenseitigen Besuchen der Delegationen
2001/2002 sowie in einem weiteren Besuch von OB Palm im Jahr 2003
ihren Ausdruck fanden.
Oberbürgermeister Palm betonte, wie sehr er sich mit der Familie
der Cariatesi verbunden fühle seit der herzlichen Aufnahme dort
anlässlich seines Besuchs. Als Gastgeschenk erklärte er
die Bereitschaft der Stadt Fellbach zu einer engen Zusammenarbeit
in Fragen der Wasserversorgung. Insbesondere verband Palm damit eine
Einladung an Spezialisten in Sachen Wasser aus Cariati für zwei
Wochen nach Fellbach zu den Stadtwerken für einen fachlichen
Austausch.
Vizebürgermeister,
Arzt und Musiker Dott. Cataldo Perri überbrachte die Grüße
des neu gewählten Bürgermeisters von Cariati Avv. Giovanni
Filippo Sero, der durch die ernsthafte Erkrankung eines nahen Verwandten
an der Teilnahme verhindert war. Perri wies auf die vorausgehenden
gemeinsamen Projekte hin und brachte den Wunsch zum Ausdruck, dass
die Freundschaft zwischen Fellbach und Cariati zu einem Beispiel für
gelungene Beziehungen unter Europäern werden könnte. Als
Zeichen der guten Beziehungen überreichte Perri kleine Bronze-Nachbildungen
der Statue von San Cataldo an die Vertreter der Gastgeber.
Die
neugewählte Stadträtin Rita Cosenza brachte Grüße
insbesondere von den Frauen von Cariati - die erstmals in der Geschichte
der Stadt durch eine Stadträtin vertreten werden - für alle
italienischen und sonstigen Frauen in Fellbach. Sie überreichte
bemalte Keramikteller mit Motiven von Cariati.
Provinzial
- und Stadtrat Leonardo Trento wies auf die vielen Projekte hin, welche
die neu gewählte Stadtregierung von Cariati nun in Angriff nehmen
möchte und versprach, sich in allen Belangen für das Wohl
der Stadt und ihrer Bürger einzusetzen. Er bat dabei die im Ausland
lebenden Cariatesi um ihre Unterstützung.
Stadt-
und Kreisrat Alfonso Fazio aus Waiblingen verstand es, durch seine
gelungene Übersetzung den Dialog in Gang zu bringen und zu halten.
Fiesta
International, Fußball und Folkloregruppe Citta di Cariati
Der
Samstagabend stand im Zeichen der Fiesta und des Fußballs. In
der "Heine-Arena", einem Fabrikgebäude der Firm Heine
& Beisswenger, die mit den Italienern Fellbachs seit langem verbunden
ist, schaute sich eine beachtliche Mannschaft insbesondere italienischer
Jugendlicher und Erwachsener das WM-Spiel USA - Italien an. Zuvor
erklang eine Stunde lang die Gruppe Citta di Cariati mit
Tarantella, Volksliedern und Tänzen.
Prozession
San Cataldo
Am
Sonntagmorgen um 9.30 begann die Prozession mit der Statue von San
Cataldo durch die Straßen Fellbachs. Die
Statue wurde aus der St. Johannes-Kirche getragen und auf einen Tieflader
verladen, den freundlicherweise die Familie bzw. Firma Leitern/Fahnen
Knödler in Beutelsbach zur Verfügung stellte. Das war nicht
ganz Zufall; schließlich ist der Initiator des Cataldo-Besuches,
Giovanni Calabrò, ein enger Verwandter der Familie Knödler/Jozzi.
Mit Stoffen aus ihrer Aussteuer hat Frau Iozzi in Calabrò zusammen
mit einigen anderen Familien den mit Paletten aufgemöbelten Tieflader
edel dekoriert. Darauf wurde nun die Statue von San Cataldo samt Baldachin
gesetzt. Außerdem wurde der Maio an den Wagen angebracht,
der traditionelle, mit Gebäck behängte Maibaum, denn das
Fest von San Cataldo wird in Cariati ja immer im Mai gefeiert. Dazu
hatte Teresa Russo mit einigen Helferinnen reichlich Gebäck vorbereitet.
Am Beginn der Prozession bei der St. Johannes-Kirche entwickelte sich
eine Eigendynamik, die kaum mehr zu bremsen war: Vier Männer,
die diese Tätigkeiten wohl schon öfter getan hatten, griffen
sich San Cataldo, und los ging die Prozession. Etwas enttäuscht
blieben die deutschen Gottesdienstbesucher in St. Johannes zurück,
die eigentlich den Beginn in der Kirche miterleben sollten und durch
diese Art von Spontaneität um ihre Beteiligung gebracht waren.
Gleich nach dem Beginn der Prozession knallten im Schwabenlandhallen-Park
stilecht die Feuerwerkskörper.
Staunend schauten viele Anlieger an den Straßen auf die Prozession
und auf San Cataldo. Auch wenn die Heiligen-Prozession für das
traditionelle Fellbach etwas ungewohnt war, so drückten doch
auch einige evangelische Zaungäste ihre Sympathie für die
italienischen Mitchristen aus.
Im Anschluss an die Prozession fand in der Maria-Regina-Kirche ein
deutsch-italienischer Festgottesdienst statt.
In seiner Predigt ermutigte Don Renzo Bagarolo, der Pfarrer der Konkathedrale
in Cariati, die guten Werte der eigenen Tradition im Herzen zu bewahren
und sie mit sich zu tragen, wohin der Weg auch führt. Das Fest
und die Verehrung von S. Cataldo seien ein solcher Wert, der sich
lohne, bewahrt und mit Leben erfüllt zu bleiben. Mit dem Fest
in Fellbach hat sich San Cataldo wirklich als guter Hirte seiner Herde
in Cariati erwiesen, als Bischof, der die Herde um sich sammelt, um
sie zu Christus zu führen.
In seinem Dankeswort lud Don Renzo Jugendliche aus Fellbach ein, zum
Fest San Cataldo nach Cariati zu kommen und in den Jugendräumen
bei der kleinen Kirche San Cataldo direkt am Ionischen Meer als Gäste
der Kirchengemeinde von Cariati dort zu wohnen.
Eindrücke
Der
Besuch von S. Cataldo war wohl die erste Prozession dieser Art in
der weiten Umgegend seit den Tagen der Reformation. Schließlich
entzündete sich gerade an einer überzogenen Heiligenverehrung
manche Auseinandersetzung im Zusammenhang mit der Kirchenspaltung
vor knapp 500 Jahren. Doch mit der Prozession von San Cataldo ging
es nicht darum, die Frage nach der Richtigkeit oder Zeitgemäßheit
bestimmter Frömmigkeitsformen zu diskutieren oder zu lösen.
Die Prozession wurde zum Ausdruck einer selbstbewussten Gemeinschaft
süditalienischer Christen, die den Anspruch haben, ihren Glauben
in ihrer eigenen Art zum Ausdruck zu bringen auch dort, wo sie die
Emigration hingeführt und neu beheimatet hat, in diesem Fall
in Fellbach.
Mit
San Cataldo zurück ins Mittelalter?
Die übertriebene Verehrung von Heiligen war einer der
Gründe, dass es im 15. Jahrhundert in Deutschland zur Reformation
kam. Die Nähe zu den Kirchen der Reformation hat auch in der
katholischen Kirche in vielen Teilen Deutschlands die Beziehung zur
Verehrung von Heiligen, zu Prozessionen und anderen Formen traditionell
katholischer Frömmigkeit verändert. Die Kirche selbst hat
auf die Kritik der Reformatoren reagiert im Konzil von Trient.In traditionell
katholischen Ländern
haben sich aber viele Formen der Volksfrömmigkeit erhalten. Sie
brauchen aber für eine jede Zeit eine Sinngebung, was sie bedeuten
und wie sie gefeiert werden. Monsignore Giuseppe Agostino, damals
Erzbischof von Santa Severina, später von Cosenza - Bisignano,
hat in seiner Schrift "Le feste religiosi del Sud" , verfasst
als Fastenhirtenbrief im Jahr 1976, den Charakter christlicher Feste
ausführlich beschrieben und detaillierte Vorgaben erstellt, was
bei heutigen Festen und Prozessionen zu beachten ist.
Auch unter den Cariatesi in Fellbach gibt es etliche, die der religiösen
Tradition der San Cataldo-Prozession eher kritisch gegenüberstehen,
sich aber aus Gründen des Zusammenhalts nicht verschließen
und doch teilnehmen. In einer Zeit der Ökumene und des religiösen
Dialogs mit anderen christlichen Kirchen steht auch die katholische
Kirche vor der Aufgabe, Chancen und Grenzen ihrer Heiligen-Frömmigkeit
zu klären und immer wieder deutlich zu machen, dass katholische
Christen sich allein an Jesus Christus ausrichten und dass Heilige
genannte Menschen vor allem Vorbild und Brücke zu Christus bzw.
zu Gott hin sein können bzw. sind. Die Fellbacher katholischen
Kirchengemeinden stehen in der Spannung zwischen der Ökumene
mit evangelischen, evangelisch-methodistischen und mennonitischen
Kirchengemeinden einerseits und der süditalienisch-katholischen
Spiritualität andererseits - manchmal ein ordentlicher Spagat.
Dabei sind die großen Prozessionen nicht der Dreh- und Angelpunkt
der katholischen Seelsorge in Kalabrien. Dass christlicher Glaube
nicht zu Ritual und Folklore verkommt, dafür sorgen in den Gemeinden
von Cariati beispielsweise Gebetsgruppen und geistliche Bewegungen,
Bibelgruppen und sozial tätige Freiwillige.
Auch die muttersprachlichen Gemeinden hier im Rems-Murr-Kreis, in
denen die Katholiken aus Cariati und den andern Orten am Ionischen
Meer stark repräsentiert sind, pflegen das Bibelgespräch,
Besinnungstage, Frauengruppen, Jugendwallfahrten, eine biblisch orientierte
Ehevorbereitung und natürlich die traditionelle Darstellung der
Passion Jesu am Karfreitag.
Ein
Hirte stärkt seine Herde
Der
Besuch von S. Cataldo in Fellbach bedeutete für viele Cariatesi
eine Stärkung in ihrer Lebenssituation, die von er Emigration
geprägt ist. Von klein auf machen Migranten die Erfahrungen,
in zwei Welten zu leben: in der ursprünglichen Heimat Kalabrien
und zugleich in der neuen Heimat Fellbach/Deutschland, und oft gibt
es das Gefühl, zu keiner der beiden Welten wirklich dazuzugehören.
Um so wichtiger ist alles, was diese Spaltung überwinden hilft.
Mit San Cataldo haben sich die Cariatesi als Gruppe mit einer eigenen
religiös-kulturellen Tradition in Fellbach präsentiert und
sind als solche auch wahrgenommen worden.
Die besondere Hervorhebung von San Cataldo bzw. der Beziehung Fellbach
- Cariati darf nicht vergessen machen, dass es in Fellbach und Umgebung
viele italienische Mitbürger gibt, die nicht aus Cariati, auch
nicht aus Kalabrien kommen.
Neue Perspektiven
Mit dem Angebot einer Zusammenarbeit in einem für Cariati besonders
wichtigen Bereich der Verwaltung, nämlich der Wasserwirtschaft,
hat Oberbürgermeister Palm einen Akzent gesetzt, der über
die üblichen Folklore- und Tourismus-Kontakte hinausgeht. Durch
die vorhandenen persönlichen Beziehungen und Kontakte dürfte
es leicht fallen, mit der neuen Stadtregierung von Cariati die Zusammenarbeit
zu pflegen und auszubauen.
(Thomas Raiser)