Francesco De Simone_______________________________________________________________________

 

____________________________________________________Der Ginster in Longobucco



 

 


Mai und Juni sind die Monate, in denen sich die Landschaft der Pre-Sila mit farbigen Blumenteppichen bedeckt. In Longobucco, dem vielleicht typischsten Ort des Sila-Nationalparks, blüht der Ginster in seinem unverwechselbaren leuchtenden Gelb. Die Berge kleiden sich in immense Gewänder „gelber Macchia“, die zusammen mit den anderen Blumen und dem Grün der Pinien und Kastanien eine verzauberte Landschaft bilden.
Der Ginster ist einer der Hauptakteure, wenn es um das textile Kunsthandwerk geht, bei dem Longobucco den vordersten Rang in der ganzen Region einnimmt und das in Longobucco auf eine ganz eigene Art ausgeprägt ist.

   

Die "Ginstermacherei"

In Longobucco gab es eine „Ginstermacherei“ (ginestrificio), die dazu diente, die Pflanzen zu verarbeiten, die auf den Hügeln der Berge wild gewachsen waren; die dabei gewonnenen Fasern wurden dann auf den Webstühlen verarbeitet. Nach katastrophalen Erdbeben wurde die Ginstermacherei abgerissen, um Platz zu schaffen für die „case popolari“, das sind Häuser, in denen die Einwohner untergebracht wurden, deren Häuser durch das Erdbeben zerstört waren. Wohl gab es andere bebaubare Grundstücke, doch waren die belegt durch die Gärten, welche man für die Lebensmittelversorgung dringend brauchte. So verschwand ein Stück der Geschichte von Longobucco, ein Wahrzeichen seiner Vergangenheit und ein Fundstück der Industrie-Archäologie.

   

Aus Ginstersträuchern werden Textilfasern

Wenn der Ginster seine volle Reife erlangt hatte, gingen die Frauen früh am Morgen los in die steilen Schluchten der Flusstäler, um die Zweige zu schneiden, die in Bündeln gesammelt wurden. Diese Bündel (manipoli) wurden nun ihreseits gebogen, um Stücke (mazzetti) von ca 20 – 25 cm Länge zu erhalten, die dann wiederum zu großen Gebinden (fasci) von ca 10 kg verbunden und ans Ufer zum Aussortieren gebracht wurden.
Hier kochte man den Ginster in großen Kupferkesseln. Nach dem Kochen wurden die Bündel aus dem Kessel gezogen, abgekühlt und dann zu Gebinden von ca 20 gepackt. Nun brachte man sie von neuem zum Fluss, wo sie für ca 8 Tage im Wasser unter dem Gewicht von großen Steinen verblieben.

   

Man erhielt nun die Rohfaser (fibra grezza) und den nackten Zweig (rama nuda) also den Holzteil, der – in der Sonne getrocknet – zum Feueranzünden diente. Die Rohfaser wurde auf große Steine am Flussufer gelegt und mit einem Holzstück (copano) geschlagen, um die faserigen Bündel von der Rindensubstanz zu befreien. Die Bündel wurden dann von neuem mehrere Male gewässert und zum Trocknen in die Sonne gelegt, so erhielt man die sehr groben Rohfäden (stuppe).Um Fäden für die Textilherstellung zu erhalten, brauchte es weitere Arbeitsschritte. Gewebe für Decken und Tischtücher zu bekommen, musste man die Rohfaser (stuppe) dem Vorgang des Kämmens unterziehen. Dazu benutzte man zwei runde Holzplatten, die mit Leder bedeckt waren, in das Dutzende von Nägeln eingearbeitet waren. Zwischen die Zähne dieser Bürste - befestigt an einer Leiter – legte man nun die Rohfaser und bedeckte sie mit der anderen Hälfte des „Kammes“, so dass die Rohfaser, indem sie dort durchgezogen wurde, sich verlängerte. Die Faser blieb zwischen den Zähnen des Kammes hängen, wurde dann auf dem Spinnrad gesponnen, auf die Spindel gewickelt und auf dem Webstuhl verarbeitet, verwendet vor allem für den Einschlag beim Weben. Im Dialekt von Longobucco wurde der Ginster cordicetta genannt und bildete die gröbste Qualität, verglichen mit anderen Materialien.

Die Bedeutung des Ginsters in der Großindustrie

Der Ginster (spartium junceum L.) ist seit dem Altertum bekannt als faserspendende Pflanze. Mit der Etymologie des griechischen Wortes spartos ist die traditionelle Verwendung des Ginsters als Faser in der Produktion von Matten, Seilen und anderen Produkten verbunden.
Heute ist der Markt für Naturfasern in starkem Wachstum begriffen, sowohl in Italien als auch in Europa insgesamt. Dank ihrer strukturellen Charaktereigenschaften wird die Faser in Verbundmaterialien anstelle von mineralischen Stoffen oder synthetischen Substanzen verwendet. Die Faser, aus den grünen Zweigen geschält, weist eine unglaubliche Zähigkeit und Resistenz auf. Bei der Verarbeitung der Pflanze fallen wichtige weitere Produkte ab: Holz- und Zelluloseteile, die in der Spanplatten-Industrie gebraucht werden, Duftsubstanzen für Parfume sowie die natürliche gelbe Farbe, die aus den Blüten gewonnen werden als Färbemittel für Haare, schließlich das Spartein, ein Alkaloid, das in der Medizin zur Harnabsonderung dient.
Der meistversprechende Einsatz ist wohl der in der Automobilindustrie. Nach vielen Jahren Forschung in zahlreichen Projekten, gefördert durch die EU, hat das Fiat-Forschungszentrum begonnen mit der Erprobung von Armaturenbrettern und Schaltern mit einer Kombination aus Kunststoff und Ginster. Die Ginsterfasern sind tatsächlich ein optimaler Ersatz für die Glasfaser, die den großen Nachteil hat, nicht recyclebar zu sein. Die Ginsterfaser hingegen ist schwer entflammbar, und im Falle eines Brandes des Wagens reduziert sie die Giftigkeit der Verbrennungsgase. Die Naturfasern stellen also ein Grundelement für die Herstellung umweltgerechter Autos. Die Europäische Kommission hat 1999 acht Milliarden Euro bereitgestellt für das Projekt ecocomp, das verschiedene europäische Autofirmen sowie diverse Firmen der Elektro – sowie der Luft- und Raumfahrtindustrie einbezieht, und an dem in Italien insbesondere die Fakultät für Materialwissenschaft in Terni beteiligt ist.

   

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