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Migration und Seelsorge
Padre Pio
klopft
an deutsche Kirchentüren
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"Wir möchten gern eine Statue von Padre Pio stiften,
die dann in der Kirche aufgestellt wird."
Familie C. fragt
vorsichtig in ihrer zuständigen italienischen Gemeinde in
einer Kleinstadt Süddeutschlands an, ob sie eine Statue von
Padre Pio stiften dürfte. Familie F. fragt nicht erst, sondern
bringt gleich eine meterhohe Statue aus dem Sommerurlaub mit,
damit sie gut sichtbar in der örtlichen Kirche aufgestellt
wird.
Beide Familien haben
es geschafft, nicht nur die italienischen Seelsorger und ihre
Kirchengemeinderäte, sondern auch die befreundeten örtlichen
Gemeinden mit der Frage in Verlegenheit zu bringen, ob und wie
Padre Pio in Kirchen Deutschlands präsent sein darf.
Diese Anfragen treffen
gleich auf mehrere Tabus:
Die Frömmigkeit
Padre Pios war bzw. ist eine traditionell geprägte Frömmigkeit.
Seine Stärke war das persönliche Gespräch, die
Begegnung und Wahrnehmung der Menschen, seine Fähigkeit,
die Menschen etwas von einer in diesem Fall väterlichen Zuwendung
Gottes spüren zu lassen. Während italienische Christen
sich von ihm unmittelbar angesprochen fühlen und ihn sehr
verehren als Begleiter in ihrem Leben, tun sich viele Deutsche
nicht nur schwer mit seiner Frömmigkeit, sondern auch mit
der Ästhetik der Darstellungen, die von ihm verbreitet sind.
Andererseits:
Nach dem zweiten Weltkrieg kamen Millionen Menschen aus den ehemaligen
deutschen Ostgebieten, aus Schlesien, aus Böhmen, aus dem
Sudentenland, aus dem Banat ... Sie konnten nur wenige Habseligkeiten
mitnehmen. Und doch schafften es einige, Bilder und Figuren aus
den heimischen Kirchen mit sich zu tragen. Noch heute finden sich
diese Statuen als emotionale Brücke zur ehemaligen Heimat
in vielen Kirchen Deutschlands, die nach dem Krieg gebaut wurden.
Verschiedene religiöse
Gemeinschaften, die in einer Kirchengemeinde besonders vertreten
sind, haben schon seit Jahrhunderten ein Bild, eine Statue, ein
Zeichen ihrer speziellen Frömmigkeit in ihrer Kirche aufgestellt.
Damit wird der Kirchenraum noch mehr zur emotionalen und religiösen
Heimat.
So ist es auch angemessen,
dass überall dort, wo starke nationale Minderheiten in katholischen
Gemeinden leben, auch Zeichen ihrer religiösen Tradition
und Frömmigkeit in einer Kirche präsent sein dürfen
und sollen. Dies ist Ausdruck der weltweiten Präsenz der
(katholischen) Kirche in verschiedenen Kulturen und damit auch
in unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen.
Natürlich kann es nicht sein, dass jedes kleine Grüppchen
sein eigenes Bild in der Kirche aufstellen muss, anders aber verhält
es sich, wenn es um hunderte oder gar tausende Mitglieder einer
Pfarrei geht.
Warum also Padre Pio
nicht einen Platz zugestehen? Es gibt durchaus gestalterische
Möglichkeiten, eine als kitschig empfundene Statue in einen
modernen Kirchenbau zu integrieren. Warum nicht Padre Pio in einer
zur Kirche passenden Edelstahlgrotte, auf einer Betonstele ...
Wo eine Aufstellung
auf Dauer nicht möglich erscheint, kann eine zeitweise Darstellung
sinnvoll sein, in der Woche seines Todes usw.
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Hemmschwellen überwinden
Was
von Padre Pio an sprachlichen Äußerungen überliefert
ist, das fällt auf durch eine traditionelle religiöse Sprache,
die sich nicht von der Predigt- und Gebetssprache seiner Generation
unterscheidet. Das trifft im übrigen auch auf Papst Johannes XXIII.
zu, der erst im Alter die traditionelle religiöse Sprache durchbricht
und damit die Fenster zu einer neuen Zeit öffnet.
Was
ist das besondere an Padre Pio? Für Menschen, die ihn selbst erlebt
haben, ist diese Frage wohl kaum zu verstehen. Für die andern,
die ihn viel später, und dann auch über die Grenze von Tradition
und Mentalität hinweg kennenlernen, sucht diese Frage eine Antwort,
die Respekt und Verehrung ermöglichen.
Wenn
ein Mensch selig oder heilig gesprochen werden soll, dann wird vor allem
geprüft, ob sein Leben dem Evangelium Jesu Christi entspricht.
Für
Padre Pio lässt sich dies auf eine mehrfache Weise bestätigen:
1.
Padre Pio war vor allem ein Mensch, der zuhörte, ein Beichtvater.
Das bedeutet, er hat zahllosen Menschen dabei geholfen, die vergebende
Liebe Gottes zu erfahren. Seine Gespräche waren offensichtlich
so lebensnah, dass die Leute, die zu ihm kamen, eine Zuwendung erfahren
haben, die sie an Jesus erinnerte:
das Mahl, das Jesus mit den Sündern gefeiert hat (Lk5,27-32)
die Begegnung Jesu mit der Sünderin, die mit ihren Haaren seine
Füße salbt
(Lk 7,36-50)
das Gleichnis Jesu vom barmherzigen Vater bzw. verlorenen Sohn
(Lk 15,11-22)
das Gleichnis vom verlorenen Schaf (Lk 15,1-10)
Dabei ist bezeugt, dass Padre Pio kein bequemer Beichtvater war. Aber
seine Sprache war einfach; und er konnte davon ausgehen, dass seine
Zuhörer ihn verstanden haben.
2.
Das Leben von Padre Pio war durchlitten.
Das Wort Jesu „Wer von euch mein Jünger sein will, der nehme
sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ hat Padre Pio sehr unmittelbar
durchlebt. Die Stigmatisierung, das bedeutet: Die Abbildung der Wunden
Jesu an seinem Körper, steht dafür.
Während viele Menschen durch Leiden vereinsamen oder verbittern,
konnte Padre Pio sein Leiden in Zuwendung verwandeln.
Zeitzeugen berichten, dass die Feier der Messe mit Padre Pio ein prägendes
Erlebnis war. Die Worte „Das ist mein Leib, der für euch
hingegeben wird.“ wurden für die Teilnehmer spürbar
präsent, nicht zuletzt durch die Person Padre Pio‘s.
Wie viele mystisch besonders begabte Menschen ist Padre Pio durch eine
lange Zeit der „dunklen Nacht“ gegangen.
Thomas Raiser
Die
Aufnahme stammt aus dem Band PADRE PIO - Immagini di Santità,
herausgegeben von Cosmo Francesco Ruppi, Milano 1999 (in italienisch)
Seit
Oktober 2005 ist eine Statue von Padre Pio auf dem Dreifaltigkeitsberg
bei Spaichingen aufgestellt. Sie wurde gestiftet und errichtet durch
Mitglieder der Italienischen katholischen Gemeinden Tuttlingen und Rottweil.
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Dr.
Thomas Seiterich-Kreuzkamp
Der Heilige Padre Pio
und die kompromisslose Modernität
(PUBLIK-FORUM
16/2004,
S. 45)
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