Home
|
DER PURPURKODEX VON ROSSANO
Rossano, genannt "Die Byzantinische", ist die Perle unter den Städten
des Ionischen Meeres. Sie besitzt ein Weltkulturerbe. Basilianische Mönche kamen aus dem Osten,
gruben ihre Grotten in die roten Sandsteinwände, die an einer
Seite der Stadt steil abfallen, und trafen sich zum gemeinschaftlichen
Gebet in einem der byzantinischen Kirchlein, Oratorien genannt,
die auch heute noch über die Stadt verstreut sind.
Und sie brachten aus Kleinasien ein heiliges Buch mit. Es ist geschrieben
und gemalt um das Jahr 600 auf purpurgefärbtes Pergament:
Der
Codex Purpureus, aufbewahrt im neu gestalteten Diözesanmuseum am Dom.
Francesca,
Daniela, Grazia und Natalino führen
durchs Museum und zeigen den Codex ( in ital., engl. und frz. Sprache).
|
Mehr
über Rossano und den Codex Purpureus Rossanensis im Lese- und
Reisebuch Sila Greca - Sila Ionica
Codex
Purpureus
Rossanensis
links oben:
Die
Heilung des Blindgeborenen
links unten:
Vier Profeten: David, Sirach. David und Jesaja
|
Hervorragende
Wiedergabe der Miniaturen des Purpurcodex (Text in it. Sprache)
Alle
folgenden Informationen sind entnommen dem Band
IL
CODICE PURPUREO DI ROSSANO - PERLA BIZANTINA DELLA CALABRIA
herausgegeben vom Museo Diocesano di Arte Sacra von
Francesco Filareto und Luigi Renzo,
mit freundlichem Einverständnis von Msgr. Luigi
Renzo, früherer Leiter des Diözesanmuseums in Rossano und
seit 2007 Bischof von Mileto-Nicotera-Tropea.
|
Was
versteht man unter dem CODEX PURPUREUS ROSSANENSIS?
Der
CODEX PURPUREUS ROSSANENSIS ist eine Handschrift des Neuen Testaments
im Format 260 x 307 mm auf purpurgefärbtem Pergament. Von den
ursprünglich ca 400 Seiten sind 188 erhalten; der Rest ist
wohl im 17. oder 18. Jahrhundert durch einen Brand zerstört
worden. An den letzten zehn Seiten finden sich Brandspuren. Enthalten
ist das ganze Matthäusevangelium. Außerdem findet sich
im Codex das Markusevangelium bis auf wenige Verse am Ende des Evangeliums.
Zusätzlich findet sich ein Brief des Eusebius von Cäsarea
über die Konkordanz (Harmonie) der Evangelien. Die Bindung
des Codex geht auf das 17. oder 18. Jahrhundert zurück. Der
Codex enthält 15 Seiten mit ganzseitigen Miniaturen, die den
Text deuten und ergänzen. Die Textseiten sind vor allem mit
Silber geschrieben; nur der Anfang der Evangelien weist jeweils
drei Zeilen in Gold auf.
Die
Entstehung des Codex
Der
Codex ist mit großer Wahrscheinlichkeit in Syrien
oder Kleinasien (heute Türkei) um die Mitte des 6.
Jahrhunderts n.Chr. in einem Kloster entstanden. Themen und Bildelemente
zeigen eine Nähe zur Schule der allegorischen Bibelauslegung,
wie sie in Cäsarea/Palästina gepflegt wurde.
Der künstlerische Stil der Miniaturen weist auf die Tradition
der Antike hin. Die Forderung des antiken griechischen Philosophen
Platon nach der Einheit des Schönen, Wahren und Guten
sieht Luigi Renzo, früherer Direktor des Diözesanmuseums
Rossano und Hüter des Codex, im Codex vollkommen verwirklicht.
Die Verwendung von Purpur und Gold lässt auf einen Auftrag
und eine ursprüngliche Verwendung schließen, die in Verbindung
mit dem byzantinischen Kaiserhaus steht. Besteller und Auftraggeber
dürfte demnach eine Person aus dem Umfeld der kaiserlichen
Familie sein. Renzo vermutet, dass möglicherweise
die Begleichung einer Schuld oder ähnliches die Ursache für
den Auftrag gewesen sein könnte.
Der
Weg des Codex von Syrien nach Kalabrien
Der
Codex könnte Mitte des 7. Jahrhunderts nach Kalabrien gebracht
worden sein. Der Druck der Araber wäre dann verantwortlich
dafür, dass Mönche den Codex nach Kalabrien in Sicherheit
bringen wollten. Eine weitere Möglichkeit: Der vom byzantinischen
Kaiser Leo III. genannt Isauricus, ausgelöste
Bildersturm bewegt viele Mönche, mit ihren sakralen Bildwerken
zu flüchten. Sie bringen den Codex nach Rossano in
Kalabrien. (Ekkehard Rotter meint: zuerst ins Kloster S.
Maria del Patire bei Rossano, doch das wird erst nach der Jahrtausendwende
gegründet). In jedem Fall gelangt der Codex nach Rossano, wo
die Mönche gastlich aufgenommen werden. Sie lassen sich in
den Grotten an den Abhängen der Stadt nieder und führen
weiter ihr asketisch-gemeinschaftliches Leben.
Der
Codex gerät in Vergessenheit
Nachdem
unter den Normannen eine Einführung des römischen Ritus
in Rossano verhindert werden konnte, kommt im Jahr 1462 das Ende
des griechischen Ritus auch in Rossano. Damit verliert der griechische
Codex seine liturgische Funktion, bleibt aber immer beschützt
und aufbewahrt durch die nun römische Kirche in Rossano.
Der
Codex wird wiederentdeckt
Im
Jahr 1705 schreiben Klerus und Volk von Rossano an Papst Clemens
XIII. in Rom und beschweren sich, weil der Erzbischof Adeodati
ein Feind der alten Sachen sei. Unter anderem wird auch
der Evangeliencodex genannt.
Im Jahr 1831
beschäftigt sich der Kanonikus am Dom zu Rossano, Scipione
Camporota, mit dem Codex und gibt ihm mit schwarzer Tinte Seitenzahlen.
Im Jahr 1846
hat der erste große Kalabrienreisende Cesare Malpica
aus Neapel den Codex in Rossano entdeckt. Doch erst die beiden deutschen
Gelehrten Oskar Leopold von Gebhardt und Adolf Harnack
verschaffen dem Codex in den Jahren 1879 und 1880 Weltbedeutung.
Sie geben dem Codex seine heutige Bezeichnung: Evangeliorum
Codex Graecus Purpureus Rossanensis. Es
folgen bald darauf verschiedene Reproduktionen und im Jahr 1919
eine gründliche Restaurierung.
Seit
dem 18.10.1952 befindet sich der Codex im Diözesanmuseum am
Dom in Rossano und ist Rossano's größter Schatz, ja eines
der wichtigsten Kunstwerke Kalabriens überhaupt. Wer heute
nach Rossano kommt, kann im neu gestalteten Diözesanmuseum
rechts des Domes jeweils eine aufgeschlagene Seite des Codex unter
Glas betrachten. Die Mitarbeiterinnen erläutern den Codex in italienischer,
französischer und englischer Sprache.
Der
erste Comic?
Der
Künstler der Miniaturen baut an mehreren Stellen Handlungsabläufe
und Bewegung ein. Bei den Tafeln VI und VII beispielsweise zeigt
er den Weg der Annäherung der Jünger zu Christus, um Brot
bzw. Wein zu empfangen. Bei Tafel VI empfängt der Jünger
das Brot, dann richtet er sich auf und streckt die Arme aus, um
zu danken.
(Filareto/Renzo
S. 16+44)
|
Deutung
der Miniaturen - zum Beispiel Tafel Nr. IV
Das
Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Mt
25, 1-13)
|
Dann
wird es mit dem Himmelreich sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre
Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von
ihnen waren töricht, und fünf waren klug. Die törichten
nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die klugen aber nahmen
außer den Lampen noch Öl in Krügen mit. Als nun
der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und
schliefen ein. Mitten in der Nacht aber hörte man plötzlich
laute Rufe: Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen. Da standen
die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. Die törichten
aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen
unsere Lampen aus. Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder
für uns noch für euch, geht doch zu den Händlern
und kauft, was ihr braucht. Während sie noch unterwegs waren,um
Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die Jungfrauen, die bereit
waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal, und die Tür wurde
zugeschlossen. Später kamen auch die anderen Jungfrauen und
riefen; Herr, Herr, mache uns auf! Er aber antwortete ihnen: Amen
ich sage euch: Ich kenne euch nicht. (Einheitsübersetzung)
Das
Bild erfasst den Moment, als der Bräutigam ankommt mit der
darauffolgenden Schließung der Pforte. Links von der Tür
befinden sich die törichten Jungfrauen; ihre Kleider haben
verschiedene Farben. Die Lampen sind erloschen, eine ist auf den
Boden gefallen, und die Fläschchen mit Öl sind leer. Einen
Hintergrund gibt es nicht. Die Frau in Schwarz klopft gerade an
die Tür, während Jesus von der anderen Seite der Tür
spricht:
Amen ich sage euch: Ich kenne euch nicht.
Auf der rechten Seite erscheinen die klugen Jungfrauen, freuen sich;
in einer Hand tragen sie hoch erhoben die brennenden Lampen, in
der anderen die halbvollen Ölfläschchen. Im Gegensatz
zur linken Seite ist der Weg hier erkennbar. Die Bäume hängen
voller Früchte. Aus dem Felsen entspringen vier Flüsse,
die sich vereinigen zu einem Fluss; sie umspülen die Füße
Jesu und der zum Fest bereiten weißgekleideten Jungfrauen.
Das
Gleichnis als literarische Gattung ist offen für allegorische
und symbolische Deutungen. Diese Auslegung könnte ein Hinweis
sein auf die Schule von Cäsarea, wo die allegorische
Auslegung der Heiligen Schrift gepflegt wurde. Das Gleichnis weist
auf die Dringlichkeit hin, wachsam zu sein um ins Reich Gottes
eintreten zu können. Der Bräutigam ist Christus. Die
Braut ist die Kirche, aber nicht dargestellt durch die klugen
Jungfrauen mit den brennenden Lampen, sondern durch die bräutliche
Kleidung und die vier Flüsse, die sich vereinigen (entsprechend
den 4 Evangelien, die zusammen die eine Lehre des Wortes enthalten).
Der üppige Garten ist das Haus des Bräutigams, dargestellt
als der Garten Eden (irdisches Paradies, charakterisiert durch
Bäume voll von Früchten).
Die
beiden Bildhälften beziehen sich auf die doppelte Bedingung
des Heils oder der Verdammnis als Konsequenz der Lebensführung:
Die törichten Jungfrauen kümmern sich nicht um Öl
(=die guten Werke) und bleiben draußen; die klugen Jungfrauen
denken daran, ihren Glauben durch Werke (=Öl) wachzuhalten,
und treten in das Haus des Bräutigams ein.
(Die Beschreibung
der Miniatur ist entnommen aus IL CODICE PURPUREO DI ROSSANO
- PERLA BIZANTINA DELLA CALABRIA, herausgegeben vom Museo Diocesano
di Arte Sacra durch Francesco Filareto und Luigi Renzo, S. 40/41.
Die Deutung mit Hilfe der guten Werke entspricht eher der
katholisch geprägten Bibelauslegung.) |
Das
Geheimnis des Codex |
Über
die Entstehung des Codex ist nicht viel bekannt, auch über
seinen Weg nach Rossano und sein dortiger Aufenthalt über die
Jahrhunderte hinweg. Das hat GIUSEPPE GUARASCI, einen jungen Künstler
aus Rossano, inspiriert zu einem abenteuerlichen Comic, der Phantasie
und Realität verbindet, um der Geschichte des Codex auf die
Spur zu kommen.
(Guarasci, Giuseppe;
Il mistero del Codex, Studio Zeta Editore, Rossano 1997)
|
|
In
einem Kloster im Orient, 6. Jahrhundert v.Chr.: Der Purpur-Kodex
ist gerade fertiggeschrieben. Ein Mönch entwendet ihn und
reicht ihn heimlich weiter in der Nacht an den Boten eines reichen
Auftraggebers. Doch bald wird der Mönch krank und erzählt
in seinem Fieberdelirium von seinem Raub. Die Mönche vergeben
ihm, bevor er stirbt. Lange Zeit später stirbt auch der Auftraggeber
des Raubes. Der Diener bringt den Kodex heimlich ins Kloster zurück
und schließt sich den Mönchen an.
Es
ist das 8. Jahrhundert, wir befinden uns in der Zeit Leo's III,
genannt Isauricus (Bilderstürmer). Die melkitischen Mönche
werden von dem Bildersturm bedroht, den der Kaiser vom Zaun gebrochen
hat. Auch arabische Horden bedrohen die Klöster. Die Mönche
nehmen den Codex mit sich und fliehen in ein Land, in dem sie
gastlich aufgenommen werden: nach Kalabrien. Der Bischof von Rossano
gibt ihnen die Möglichkeit, ihr asketisches Leben weiterzuführen
und in Grotten gemeinschaftlich zu leben. Mit dem Ende des griechischen
Ritus in Rossano verschwindet der Codex für lange Zeit. Haben
die Mönche ihn versteckt, vielleicht in der Gruft unter der
Kathedrale?
Zu den beiden
Comic-Bildern:
Der Bote, der den Codex geraubt hatte, bringt ihn zu den Mönchen
zurück
|
|