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CALABRIA EBRAICA
Die jüdische
Bevölkerung

Kalabriens -

vom Mittelalter
bis heute

 

 

Calabria ebraica


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Rabbi Barbara und das Wieder-Erwachen

jüdischen Lebens in Kalabrien

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Ende August 2014 in Camigliatello Silano, der Vorzeige-Ferienfrische in der Provinz Cosenza in Kalabrien: Vincenzo Villella stellt im Rahmen der „Woche der kalabresischen Kultur“ sein Buch „Giudecche di Calabria“ vor, im Untertitel ‚Kurze Geschichte der Juden im Gebiet Kalabriens von der Aufnahme bis zur Vertreibung‘. Doch der Star des Abends ist Rabbi Barbara, die erste Frau, die das Amt einer Rabbinerin in Italien wahrnahm und Rabbinerin der ersten jüdischen Gemeinde in Kalabrien seit rund 500 Jahren ist.

Die Besucher interessieren sich für die rituelle Bedeutung der cedro-Frucht für das jüdische Laubhüttenfest und für die kultischen Gegenstände, die Barbara Aiello auf einem Tischchen drapiert hat. Nur nebenbei kommt zur Sprache, was in Kalabrien Überraschendes geschehen ist, seit Barbara Aiello die kleine Synagoge im elterlichen Haus in Serrastretta(Catanzaro) eröffnet hat: Ein Wiederaufleben verborgenen jüdischen Lebens in Kalabrien nach rund 500 Jahren der Vertreibung oder Unterdrückung.

 

 

 

 

Bild oben:
Rabbinerin Barbara Aiello bei der Woche der kalabresischen Kultur 2014 in Camigliatello Silano beim Zeigen einer Thora-Rolle, links Verleger Demetrio Guzzardi

Bild links:
von rechts nach links: Rabbinerin Barbara Aiello, Verleger Demetrio Guzzardi und    von der Universität Bari


Barbara Aiello

Barbara Aiello wurde in Pittsburgh/Pennsylvania in USA geboren. Ihr Vater wanderte in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts in die USA aus. Am Ende des Zweiten Weltkriegs nahm er an der Befreiung des KZ’s Buchenwald teil. Die Familie hatte über Jahrhunderte hinweg ihre jüdische Identität im Verborgenen zu bewahren gewusst. Sie gehörten zu den Anusim, den „Verlorenen“. (3)

Nach dem Studium in den USA wurde Barbara Aiello zur Rabbinerin am Rabbunical Seminary International in New York City ordiniert und kam 2004 an die erste Reformsynagoge Italiens in Mailand. 2005 zelebrierte sie den ersten Pessah-Seder in Palermo/Sizilien seit der Vertreibung der Juden aus Sizilien im Jahr 1493.

Im Jahr 2007 wurde mit ihrer maßgeblichen Unterstützung die erste Synagoge in Kalabrien seit rund 500 Jahren eröffnet. Sie befindet sich im Dorf Serrastretta in der Provinz Catanzaro und wurde Ner Tamid del Sud (Ewiges Licht des Südens) benannt. Erklärtes Ziel der Synagogengemeinde ist, den ‚verlorenen Juden‘ von Kalabrien zu helfen, ihr jüdisches Erbe wiederzuentdecken.(3)

 

Die Anousim (übersetzt: Die Verlorenen) hatten teils spanische, teils italienische Wurzeln. Viele aus Spanien vertriebene Juden suchten zunächst Schutz in Süditalien, wo König Ferdinand in Neapel Toleranz walten ließ, bis dann die spanische Krone mit der Inquisition schließlich die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung auch dort durchsetzte.
Jüdische Bewohner Kalabriens hatten die Wahl, sich entweder zum christlichen Glauben zu bekehren oder auszuwandern. Ein hoher Anteil – manche sprechen von 80% - (1)blieb und bekehrte sich, viele wandten sich tatsächlich dem katholischen Christentum zu, viele aber bekehrten sich nur zum Schein und behielten bis heute bewusst oder unbewusst viele jüdische Traditionen bei.

 

 

Vincenzo Villella und Barbara Aiello auf der Woche der kalabresischen Kultur 2014 in Camigliatello (alle Fotos: Giulia Guzzardi )

 

Die jüdische Bevölkerung in Kalabrien

Forschungen und Schätzungen gehen davon aus dass um das Jahr 1500 zwischen 15% und 40% der kalabresischen Bevölkrung jüdische Wurzeln hatten. In Zahlen bedeutet dies: 1276 gab es ca 2500 bis 3000 Juden in Kalabrien, um das Jahr 1500 waren es rund 12000, dann wäre etwa jeder 10. Kalabrese damals Jude gewesen. (Gesamtbevölkerung also ca 120 000 Einwohner) (5)

Es gab praktisch keinen größeren Ort, der nicht eine bedeutende Gruppe jüdischer Einwohner vorweisen konnte.

Als die Vertreibung drohte, traten rund 80%der jüdischen Bevölkerung Kalabriens zum christlichen Glauben über, wenn auch viele nur zum Schein, um der Verfolgung zu entgehen. Sie waren die sogenannten Anusim.

Aus einer dieser Familien stammt Barbara Aiello. Ihre Familie wurde nie katholisch und löste sich nie vom Judentum ab. Das jüdische Leben geschah im Verborgenen. Der Großvater von Barbara reiste mehrmals nach Montreal; sie vermutet, dass er dort sein Judentum vertiefen wollte, um damit der heimischen Gemeinschaft jüdischer Familien behilflich zu sein, als Juden zu leben. Als ihr Vater schließlich nach USA emigrierte, staunte er, wie Juden dort öffentlich ihren Glauben leben konnten.

 

 

Der Auftrag

Seit Barbara Aiello die Synagoge in Serrastretta eröffnet hat, entdecken immer mehr italienische Familien in Kalabrien, dass sie jüdische Wurzeln haben. Viele Familiennamen weisen auf eine eindeutig jüdische Herkunft hin, was viele ihrer Träger irritiert. In manchen Familien haben sich Bräuche über Jahrhunderte erhalten, die jüdische Rituale als Hintergrund haben.

Rabbi Barbara entdeckte niedrige Stühlchen, die im Todesfall von den Angehörigen eine Woche lang benutzt werden. Sie begegnet Leuten, die jeden Freitag Kerzen anzündeten, ohne zu wissen, warum. (4)

Die Arbeit des Teams um Barbara Aiello trägt Früchte: 53 Leute, die ihre jüdischen Wurzeln wiederentdeckt haben, haben sich dem Judentum zugewandt. Dieser Schritt fällt in einer Reformsynagoge leichter; eine orthodoxe jüdische Gemeinde hätte hier wohl vielfach Aufnahmehindernisse festgestellt. (5)

Auch aus dem Ausland, vor allem aus Amerika, melden sich Familien mit kalabresischen Wurzeln, nicht zuletzt, um in Kalabrien als dem Land ihrer Vorfahren Bar Mitzwa zu feiern oder zu heiraten. (4)
„Ich helfe vielen Kalabresen, ihre jüdischen Wurzeln wiederzuentdecken, die durch die Inquisition ausgerissen worden waren.“

Überall werden nun zufällig oder durch gezielte Suche Zeichen der jüdischen Präsenz in Kalabrien vor 1500 entdeckt.

Das Verhältnis zur örtlichen katholischen Kirche in Serrastretta ist gut. Der Priester ermutigte seine Gläubigen, sich selber über Judentum und mögliche eigene Wurzeln kundig zu machen. Spenden kommen vor allem von jüdischen und katholischen Italienern. (5)


 


 

Neues Interesse an der jüdischen Geschichte Kalabriens

Das neu erwachte Interesse am jüdischen Kalabrien drückt sich in einer wachsenden Zahl von Forschungen und Veröffentlichungen aus.

Der Altmeister der Forschung zum Judentum in Kalabrien war der 2012 verstorbene Cesare Colafemmina, der an der Universität UNICAL in Cosenza lehrte und forschte. Er sammelte und veröffentlichte unzählige Dokumente zur Geschichte der Juden in Kalabrien. Weiter gab es verschiedene lokale Forschungsarbeiten wie sie zum Beispiel Franco Liguori in Cariati getätigt hat.


Und nun kommen im Sommer 2014 gleich zwei Bücher zum Thema neu auf den Markt:

Vincenzo Villella, Mitarbeiter im Team von Rabbinerin Barbara Aiello, veröffentlicht sein Buch “Giudecche di Calabria“, erschienen bei editoriale progetto 2000 (dokumentiert Präsenz jüdischer Gemeinden in ganz Kalabrien), 224 Seiten, 15 Euro.

Felice Delfino: „La presenza ebraica nella storica reggina“, erschienen bei Disoblio edizioni (befasst sich vor allem mit der Präsenz jüdischer Gemeinden in den Orten der Provinz Reggio di Calabria), 140 Seiten, 18 Euro.

 

Von Seiten der orthodoxen jüdischen Gemeinden im Norden Italiens ist die neue Gemeinde in Kalabrien nicht anerkannt. Nicht allen, die jüdische Wurzeln haben gelingt es, eine zweifelsfreie Ahnenreihe vorzuweisen, um zu zeigen, dass die Zugehörigkeit zum Judentum immer über die Mutterlinie weitergegeben wurde. Damit ist eine Anerkennung der jüdischen Abstammung durch eine orthodoxe Gemeinde unmöglich.
Aiello selbst kann diese Reihe jüdischer Vorfahren lückenlos vorweisen, dennoch will die Reformgemeinde für Interessenten keine zu großen Hürden aufbauen. Für die Zukunft des Judentums in Kalabrien sieht Barbara Aiello die Notwendigkeit, neue Wege zu gehen, auch deshalb, weil nicht nur in Süditalien ein hoher Teil der jüdischen Bevölkerung in Mischehen mit Nichtjuden lebt.

Auf eines sind die kalabresischen Juden jedenfalls stolz: dass sie die zweitälteste Synagoge Italiens in Bova Marina (die älteste ist in Ostia) vorweisen können.  (5)

 

Quellen:

1. http://www.themysteryofsannicandro.com/JEWISH_roots.php

2. http://www.rabbibarbara.com/calendar.html

   
3.wikipedia: Barbara Aiello  

 

4.www.cjnews.com    

5. http://www.haaretz.com/weekend/magazine/still-jewish-after-all-this-years-1.283773