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Calabria ebraica
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Die jüdische Bevölkerung Kalabriens -
vom Mittelalter bis heute
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San Nilo und Shabbetai Donnolo |
Jüdisches Leben in Kalabrien
REGGIO - GEGRÜNDET VON ASCHKENAS?
Eine Legende erzählt, dass die Stadt Reggio gegründet worden sei von Aschenez (Aschkenas), einem Nachkomme des Noe. (1)
Aschkenas ist Sohn von Gomer, der wiederum Sohn von Jafet ist. Und Jafet ist einer der Söhne Noahs. Somit wäre Aschkenas ein Urenkel des Noah (Genesis 10, 1-3). In der rabbinischen Tradition verkörpern die Aschkenasi eine der beiden Hauptgruppen der heute lebenden jüdischen Bevölkerung. Der Geschichtsschreiber Josephus Flavius spricht von den 'Aschkenasi, die von den Griechen Regginer genannt werden'.
Reggio wird auch als "Stadt nach der Urflut" bezeichnet, von einem semitischen Kaufmann gegründet, dem Erfinder des Ruderboots, der drei Generationen nach der großen Flut hier anlandete. Die Gründung wird dann um das Jahr 2000 vor Chr. angesetzt. (Wikipedia)
Jeden Sommer kommen Rabbiner an die Costa dei Cedri, um die entsprechenden Früchte für die Feier des Laubhüttenfestes zu sammeln, die in dieser Art und Qualität nur hier geerntet werden. (1)
Artikel hierzu aus der WELT
DIE JUDECCA IN LAMEZIA TERME - NICASTRO
Oben: Der Eingang zum "Timpone" von Nicastro. Die Judecca oder Giudecca erreichte man durch dieses Tor, dahinter überquert man eine Brücke, und die Judecca befand sich abgeschirmt auf der anderen Seite des Flusses.
Unten: Blick auf den "Timpone",die frühere Judecca, heute
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Der heilige Nilo von Rossano gehört zu den großen religiösen Gestalten der kalabresischen Geschichte. Er war persönlich bekannt und verbunden mit Shabbetai Donnolo, einem bedeutenden jüdischen Gelehrten, der ursprünglich aus Oria in Apulien stammte und später als Arzt, Philosoph, Astronom, und religiöser Gelehrter in Rossano lebte.
San Nilo wurde geboren um 910 und starb am 26.09.1004.
Sein Leben ist überliefert durch Bartolomeo di Grottaferrata.
Biografisches über Shabbettai Donnolo
Donnolo wird eingeführt als "Hebräer namens Donnolo, den S. Nilo seit seiner Jugendzeit kannte, er galt als renommiert und erfahren in der Heilkunst." Diese Worte entsprechen der Selbstbezeichnung von Donnolo in seinen eigenen beiden Werken. "Ich, Shabbetai bar Avraham, genannt Donnolo der Arzt ..."
Von Donnolo weiß man, dass er gefangengenommen wurde von den musulmanischen Gruppen, die in Apuliens Küstenstädte eindrangen und sie verwüsteten. Das geschah am 4. Juli 925 in seiner Heimatstadt Oria. Es war der neunte Tag des Monats Tammuz des jüdischen Jahres 4685 seit der Erschaffung der Welt. Schabbetai schreibt, dass er zu dieser Zeit 12 Jahre alt war. Befreit wurde er in Taranto, ebenfalls noch im Alter von 12 Jahren. Seine Zeit der Gefangenschaft wurde also noch vor der Eroberung Taranto's beendet, so dass es sich also um das Jahr 925 oder 926 handeln muss, entsprechend ist seine Geburt zwischen 913 und 915 anzusetzen. Donnolo ist also wenige Jahre jünger als S. Nilo. Nach seiner Befreiung, so schreibt Donnolo, habe er fern von seinem Elternhaus Bildung erhalten, dabei blieb er im byzantinischen Süditalien, möglicherweise in einer oder in mehreren der blühenden jüdischen Gemeinden Kalabriens. Es ist also anzunehmen, dass sich Donnolo und S. Nilo in dieser Zeit des Studiums kennengelernt haben.
(Quelle: Filippo Burgarella: Shabbettai Donnolo nel Bios di San Nilo di Rossano, in: Gli ebrei nella Calabria medievale, Soveria Manelli 2013, S. 49-62)
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DAS JÜDISCHE KALABRIEN IM MITTELALTER
Im Mittelalter war der jüdische Anteil an der Gesamtbevölkerung Kalabriens beachtlich.
Kleine aber stabile jüdische Gemeinden gab es zumindest seit dem 11. Jahrhundert in den Städten Rende, Montalto, Altomonte, Bisignano, Rossano, Castrolibero, Corigliano, Cariati, Acri, Regina und Castrovillari. (2)
Weitere Orte mit Synagogen waren u.a. San Lucido, Paola, Tropea, Montalto Uffugo, Simari, Gerace, Reggio sowie viele andere.
Die Präsenz jüdischer Bevölkerung in Cosenza ist seit 1093 bezeugt. Die hier ansässigen Juden waren dem Bischof zugeordnet und entrichteten ihm den Zehnten. (2) 1488 gab es in Cosenza 36 "Feuer", also Herdstellen, was wohl Familien bedeutete. Sie zahlten 36 Golddukaten an die Obrigkeit. 1493 wird die Zahl der jüdischen Familien auf 63 korrigiert. (2) Möglicherweise befand sich die Synagoge und Schule dort, wo heute das Monastero delle Vergini (Kloster der Jungfrauen) steht. Die Gegend um die via Padolisi dürfte die dazugehörige Siedlung gewesen sein, auch Cafarone genannt. Die Synagoge wurde im Zusammenhang mit der ersten Vertreibungswelle wohl um 1495 zerstört. Die endgültige Ausweisung erfolgte dann um 1541 im ganzen Königreich Neapel. (3)
Die jüdische Bevölkerung lebte für sich in der sogenannten "judaica" oder "giudecca" (wie man sie noch heute als Ortsteil z.B. in Bisignano, Santa Severina und Rossano und in vielen anderen alten Orten Kalabriens findet). Dort befand sich auch die Synagoge. (2) Die Giudecca wurde meist auf Wunsch der jüdischen Bevölkerung errichtet, die ihre religiösen und sozialen Traditionen dadurch besser bewahren konnte. Für eine Giudecca brauchte es einen koscheren Metzger, einen Gebetsraum und eine Bademöglichkeit für die entsprechenden rituellen Reinigungsbäder. Die Pforte zur Giudecca wurde zu Sonnenuntergang geschlossen.
"Ghetto" wurden die jüdischen Siedlungen später genannt, als die Juden gezwungen wurden, gesondert zu leben.
Das Zusammenleben bewegte sich zwischen herzlich guten Beziehungen und Verfolgung.
Schwerpunkte der Tätigkeit der jüdischen Bevölkerung war die Seidenraupenzucht und die Verarbeitung der Seide.(2) Auf dieses Gewerbe erteilte Friedrich II. den jüdischen Händlern das Monopol. Damit verknüpft war der Anbau der "gelsi" genannten Maulbeerfeigenbäume zur Fütterung der Seidenraupen. Ein weiterer Geschäftszweig war das Färben von Stoffen, u.a. mit Indigo, das Gerben von Tierhäuten, der Handel mit Leinen und Baumwolle.
Weitere Geschäftsfelder: Der Viehhandel, die Eisen- und Kupfergewinnung, Silberverarbeitung und Juweliergewerbe, Keramik.
1473 wird von Auseinandersetzungen um das Verleihen von Geld und entsprechenden Zinsen berichtet.
Die erste Druckpresse brachte Ottaviano Salomonio von Manfredonia nach Cosenza im Jahr 1478. (2) |
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San Nilo möchte sich nicht von Shabbettai Donnolo kurieren lassen
Von Donnolo erzählt man, dass er das jüdische Gesetz kannte und ein großer medizinischer Experte gewesen sei.
Als Donnolo San Nilo Heilmittel anbot, die ihn in seinen extremen asketischen Bemühungen gesund erhalten sollten, weigerte sich der Mönch voller Schrecken und sagte, Gott sei sein Arzt, und er wolle verhindern, dass die Leute sagten, San Nilo könnte sein asketisches Leben nur ertragen dank der Medizin eines jüdischen Arztes. Dass S. Nilo keinen Versuch unternommen hat, Donnolo zum christlichen Glauben zu bekehren, stellt eine große Ausnahme in den byzantinischen Lebensbeschreibungen von Heiligen dar.
(Quelle: Vera von Falkenhausen: Gli ebrei nell'Italia meridionale bizantina (VI-XI secolo) in: Gli ebrei nella Calabria medievale, Soveria Manelli 2013, S. 21-34)
Auf der Website Calabriajudaica wird die antijüdische Tendenz in der Vita S. Nili des Bartholomäus von Grottaferrata betont.
Da war noch ein anderer Jude zusammern mit Shabbettai Donnolo, der sagte zu S. Nilo:
Erzähl uns irgendwas über Gott, wir möchten mit dir ein Gespräch führen.
San Nilo:
Hebräer, was du gesagt hast, ist so als wenn jemand einen Jungen bittet, mit einer Hand einen hohen Baum herbeizutragen und ihn auf den Boden zu stellen. Nichtsdestoweniger, wenn du etwas von Gott hören willst, nimm die Bücher der Profeten und des Gesetzes in die Hand und komm mit mir in die Einsiedei, dort wo ich wohne. Dort kannst du dich dieser Literatur ausführlich zuwenden, ebenso viele Tage lang wie Mose auf dem Berg blieb, als Gott ihm die Gebote gab. Dann frage mich von Neuem, und Du erhältst die Antwort, die sich in den Schriften findet: "Gebt acht und begreift, dass ich Gott bin."
Wenn ich dagegen gleich in diesem Moment zu dir von Gott reden würde, dann würde ich auf Wasser schreiben oder ins Meer säen.
Bis hierher könnte man von einem christlich-jüdischen Dialog sprechen, dann aber wird Bartolomeo polemisch:
Auf diese seine Worte antworteten beide: "Wir können das nicht tun, denn dann würden wir aus der Synagoge hinausgeworfen und die Unsrigen würden uns steinigen."
"Und deshalb," sprach San Nilo weiter, "sind auch Eure Großen im Unglauben gestorben, wie der Evangelist berichtet: Viele der Führer glaubten an ihn, aber aus Furcht vor den Juden bekannten sie sich nicht zu ihm, um nicht aus der Synagoge geworfen zu werden, denn sie liebten das Ansehen durch Menschen mehr als das Ansehen Gottes."
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Die Giudecca in Rossano heute, auf einem Felsvorsprung gelegen.
Da die ehemalige Giudecca heute als "sozialer Brennpunkt" gilt, wird empfohlen, den Ort nicht alleine zu besuchen. Die Giudecca war zugänglich durch die Porta Giudecca. |
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Die Giudecca, das jüdische Viertel von Rossano, auf einer Karte im Diözesanmuseum in Rossano |
VERFOLGUNG UND VERTREIBUNG
Ab 1400 nahmen die Verfolgungssituationen zu. 1495 wurde die Giudecca in Cosenza zerstört. Viele Juden verließen die Stadt oder traten zum Christentum über. Aus wirtschaftlichen Gründen förderten die Autoritäten ihre Rückkehr. (2)
Um 1511 gab es erneut eine Vertreibungswelle; in einigen Orten entvölkerte sich die Giudecca vollständig. (2)
Wie zuvor in Spanien geschehen, wurden die Juden im Jahr 1511 auch aus dem Königreich Neapel vertrieben, zu dem damals Kalabrien gehörte, dann nochmals zurückgeholt und schließlich 1541 endgültig vertrieben. Man verbindet mit der Vertreibung der Juden aus Kalabrien den Niedergang der Wirtschaft und vor allem der Seidenherstellung und des Seidehandels. (2) Schuldner von jüdischen Geldverleihern, insbesondere auch unter den Baronen, profitierten von der Vertreibung. |
FERRAMONTI
In der Zeit des Faschismus kam es zu einer Rückkehr der jüdischen Präsenz:
Im Konzentrationslager Ferramonti (Tarsia). (1) (2) Das Lager wurde belegt ab 20. Juni 1940 als eine Gruppe von 160 Leuten jüdischer Abstammung aus Rom eintraf. Die Internierten stammten nicht nur aus Italien; so traf eine Gruppe in Ferramonti ein, nachdem sie auf ihrer Flucht donauabwärts im Schwarzen Meer Schiffbruch erlitten hatten, andere wurden aus Benghasi/Libyen übernommen, wo sie auf der Fahrt nach Palästina gestrandet waren. Als das Lager 1943 von den Allierten befreit wurde, befanden sich 1604 jüdische und 412 nichtjüdische Internierte im Lager. Ein großer Teil wanderte aus nach USA oder Palästina oder schloss sich als Soldaten den Allierten an. Von Ferramonti aus gab es keine Transporte in deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager.(Wikipedia) |
DIE SYNAGOGE IN BOVA MARINA
In Bova Marinas Ortsteil San Pasquale, identifiziert mit dem antiken Scyle, steht die zweitälteste Synagoge Italiens (die älteste steht in Ostia antica). Sie entstand im 4. Jahrhundert und weist Mosaiken auf. (1)
San Pasquale war vermutlich ein wichtiger Ort der Weinverschiffung, darauf deuten die vielen Öfen zur Amphorenherstellung hin und auch die Peutingerianische Karte gibt Hinweise auf den Ort als Handelsplatz.
Die Präsenz einer Synagoge weist auf eine zahlreiche jüdische Bevölkerung zur damaligen Zeit hin. Zwei Bauphasen wurden festgestellt. Zu einer davon gehört das sogenannte "Haus des Rabbiners" oder auch die Schule oder Aula für die Religionslehre. Die zweite Bauphase stammt aus späterer Zeit und umfasst Räume für das Gebet, die untereinander verbunden sind. Die Mosaiken sind wohl teilweise aus anderen Gebäuden übernommen und auf die neuen Flächen angepasst worden. Der Raum enthält 16 Vierecke, die letzte Reihe nur zur Hälfte, mit den Motiven Lorbeerkranz und Kreuzen, den Knoten des Salomon sowie anderen typischen Symbolen des hebräischen Kultes wie cedro, Horn und Palme. Im Zentrum befand sich die Abbildung eines siebenarmigen Leuchters. Das Fenster war ausgerichtet zum Orient hin, nach Jerusalem. Die Mosaiken sind wohl von arabischer Schule gefertigt oder beeinflusst. (nach www.bovamarina.eu)
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Quellen für obige Angaben:
(1) http://calabriajudaica.blogspot.it/
(2) Lorenzo Coscarella in https://esplorazionicosentine.wordpress.com/tag/cafarone/
(3) Lorenzo Coscarella, Gli ebreii a Cosenza e il mistero della Giudecca, in: Parola di Vita, Januar 2013
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Im Sommer 2014 sind gleich zwei Bücher erschienen, die sich mit der jüdischen Präsenz in den Orten Kalabriens befassen.
Vincenzo Villella: Giudecche di Calabria, erschienen bei editoriale progetto 2000 (dokumentiert Präsenz jüdischer Gemeinden in ganz Kalabrien)
Ganz neu: Vincenzo Villella: Ebrei di Calabria, accoglienza - expulsione - rimpianto, Ed Grafichè, Lamezia Terme 2024
Felice Delfino: La presenza ebraica nella storica reggina, erschienen bei Disoblio edizioni (befasst sich vor allem mit der Präsenz jüdischer Gemeinden in den Orten der Provinz Reggio di Calabria) |
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Ein Foto aus dem Bergamotte-Museum in Reggio: Hinweis auf eine jüdische Firma?
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