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Spaziergänge in Rossano

 

Centro Storico, Tal des Celadi, Santa Maria delle Grazie, S. Onofrio/Colognati

Wenn ich (meist) in Rossano mit dem Zug im Bahnhof ankomme, nehme ich den orangenen IAS-Kleinbus, der Rossano Scalo
mit dem Centro Storico, also der Altstadt, verbindet. (Abfahrtszeiten stehen auf der Tafel auf dem Bahnhofsvorplatz). Der Kleinbus
fährt aufwärts aus Rossano Scalo heraus, vorbei am Friedhof, der zwischen dem oberen und unteren Ortsteil liegt.

Ich steige aus an der Endstation am torre orologico, dem Uhrturm, und gehe die Treppen abwärts zum Dom.
Mein erster Weg führt mich zur Madonna Achiropita in der Mitte des dämmrigen Innenraums. Umgeben von einem kleinen Altar aus Marmor (Einlegearbeiten) ist ein Marienfresko zu sehen, das mich in seiner byzantinischen Strenge und Klarheit immer wieder fasziniert.
Die Madonna Achiropita („nicht von menschlicher Hand gemalt“) ist die Schutzpatronin der Stadt Rossano. Der Name Achiropita ist bis heute ein geläufiger Mädchenname in der Stadt und in den umliegenden Orten, so vertraut, dass man am Bahnhof als Grafitti liest „Achiropita ist doof“.


Mein weiterer Weg führt dann zur Kooperative Neilos, die ihr Büro gegenüber
dem Haupteingang des Domes hat. Ich freue mich, meist nach längerer Zeit
wieder die Mitarbeiterinnen zu treffen, junge Frauen, die Ansprechpartnerinnen
sind für das Diözesanmuseum und seinen größten Schatz, den
Purpurkodex von Rossano
.

Sie bieten auch Führungen durch die kleinen byzantinischen Kirchlein an,
die in der Stadt verstreut sind und die ohne Führung nicht zu besichtigen sind.
Die Mädchen sprechen italienisch, englisch und französisch; Führungen auf
Deutsch brauchen eine längere Vormerkung, weil dazu Verstärkung von außen
geholt wird.
Ich komme immer wieder zum Kodex. Zum einen, weil jeweils in einem Jahr
eine bestimmte Seite gezeigt wird. Zum andern, weil keine Abbildung – auch
nicht das Faksimile – die Ausstrahlungskraft des Originals hat.
Wenn gerade eine Führung stattfindet, hänge ich mich an, um eine Deutung
für die aktuell aufgeschlagene Miniatur zu erhalten.
Im Museum schaue ich nach, ob es neue Karten oder Veröffentlichungen gibt.

Ich schaue noch kurz in die kleine Buchhandlung oberhalb des Domplatzes, dann gehe ich zum Uhrturm und von dort aus links den Ausschilderungen nach zur kleinen Kirche San Marco, die als der Inbegriff des byzantinischen Rossano gilt. Mit ihrer Lage über dem Abhang, ihren drei kleinen Apsiden und den sie umgebenden Palmen bietet San Marco ein schönes Motiv. Ich gehe nicht immer in das – meist offene – Kirchlein hinein. Es ist innen eher karg. Auf dem kleinen Platz unterhalb mit dem Bronzelöwen nehme ich einen Schluck Wasser und gehe dann das kleine Sträßchen ein Stück abwärts, um eine Kehre herum. Dann passe ich gut auf, damit ich auf der rechten Seite den Eingang zu dem kleinen Weg nicht verpasse, der zum Kirchlein S. Maria del Pilerio führt. Ich gebe zu – ich habe dieses Kirchlein noch nie von innen gesehen. Mir gefällt seine exponierte Lage am steilen Hang; man fürchtet, gleich könnte es den Hang hinabrutschen. Geht man an dem Kirchlein vorbei, gelangt man auf einem alten ausgebauten Serpentinenweg in das Tal des Baches Celadi.
Ich stelle mir vor: Wie war das vor vielleicht 1200 Jahren, als die allein in ihren Erdhöhlen am Berghang lebenden Basilianermönche mehrmals am Tag ihre Einsamkeit verlassen haben, um sich zum Gebet in San Marco oder in S. Maria del Pilerio zu versammeln? Nach Überzeugung ihres Ordensgründers, des heiligen Basilius („der Große“) brauchen auch Einsiedler die Gemeinschaft, weil sich Leben und Glaube im Zusammenleben mit anderen Menschen bewähren müssen. Und nun bewege ich mich auf den Spuren dieser Mönche.

 

 

 

 

 

 

Der Serpentinenweg von S. Maria del Pilerio ins Celadi-Tal

  Von S. Maria del Pilerio aus gehe ich abwärts bis ins Tal des Celadi, folge dem Weg,
der sich zwischen Gärten durchschlängelt, an einer Quelle vorbei, dann gelange ich
auf die kleine Straße auf der anderen Seite des Baches. Ich folge dem Fahrweg
abwärts bis zur Hauptstraße bei der Brücke und halte mich rechts aufwärts der
Straße entlang, Richtung Santa Maria delle Grazie / Paludi. Im Felshang oberhalb
der Straße erkennt man zahlreiche Hohlräume. Ob so die Eremiten gewohnt haben? Sind die Felsen vorüber, achte ich auf der rechten Straßenseite, dass ich den
Einstieg in den kleinen Pfad aufwärts nicht verpasse, der beim Straßenbau etwas
verbaut wurde. Hier kann ich mit etwas Mühe den Straßenverlauf abkürzen;
zwischen Olivengärten und auf Felsboden, fast zugewachsen, riecht es intensiv
nach Minze und Myrthe.
Ikonenkreuz in der Sakristei von S. Maria delle Grazie, geschrieben von Cornelia, einem Mitglied der Gemeinschaft

Oben an der Straße wieder angekommen folge ich der Straße noch ca 150 m
aufwärts, dann bin ich in dem kleinen Teilort S. Maria delle Grazie angelangt.
Ich gehe die steile Auffahrt zum früheren Kapuzinerkloster hinauf, gelange auf
einen kleinen Platz, der von riesigen Palmen begrenzt ist, und betrete die kleine
Kirche, die durch ihre meditative Ausstrahlung anspricht. Die Bewohner der
Fraternità monastica S. Maria delle Grazie
bilden eine kleine Gemeinschaft,
die viele Beziehungen in die Stadt Rossano hinein und in die Orte der
Erzdiözese Rossano-Cariati pflegt, ein Ort der Ruhe und der Gastfreundlichkeit.
Wenn ich wandere, dann ist eines meiner liebsten Ziele das kleine Kirchlein S. Onofrio im Tal des Flüsschens Colognati. Ich nehme morgens den kleinen Schulbus, der um ca 6.30 Uhr bei S. Maria delle Grazie rechts abbiegt nach Crocicchia. An der Endstation halte ich mich bergabwärts Richtung Flusstal. Beim letzten Bauernhof nehme ich den oberen Weg, bis ich nach etwa eineinhalb Stunden bei der Kapelle S. Onofrio ankomme. Eine kleine Ebene oberhalb des Flüsschens mitten in der Einsamkeit von Wäldern und Weiden, nur Kuh- und Ziegenglocken durchbrechen die Stille. Man sagt, dieser einsame Ort mit der kleinen Kirche sei eine bedeutende Station bei der Transumanz gewesen, zu einer Zeit, als die Viehherden im Sommer von der heißen Küstenzone in die Berge getrieben wurden.
Hier oben im Tal des Colognati beginnen die weiten Wälder, die sich zu den Silabergen hochziehen.

Die Statue von S. Onofrio am Fest des Heiligen

Zum Meer, Torre S. Angelo,
Lakritzfabrik Amarelli

Ein zweiter Spaziergang führt mich, wenn ich die Bahnhofshalle verlasse, nach rechts.
Um auf die Meerseite der Bahngleise zu gelangen, nehme ich aber nicht die Autounterführung sondern gehe weiter bis zur Schranke.
Wenn die Gleise überquert sind, findet sich gleich zur Linken eine Osteria mit den ortstypischen Spezialitäten, insbesondere den
Antipasti aus Wurst und Salamisorten und verschiedenen eingelegten Gemüsen. Vorbei an der modernen Kirche Sacro Cuore
(Don Mimmo war früher mal als „Gastarbeiter“ in Köln und schätzt deutsches Bier), an der Carabinieri-Kaserne und dem Stadion
gehe ich weiter Richtung Meer. Beim dem festungsartig ausgebauten Torre S. Angelo gelange ich ans Meer. Eine kleine Parkanlage
ist im Sommer der Mittelpunkt des öffentlichen Lebens am Strand. Die Straßen nach links und rechts führen zu zahlreichen „Lidi“,
also Strandbars, die nur im Sommer geöffnet sind. Auf der linken Seite befindet sich u.a. ein Campingplatz.
Nicht zu übersehen ist die ENEL-Anlage: Ein großes Kraftwerk etwa 500 m vom Torre S. Angelo entfernt. Die rot-weiß-gestreiften
Kamine sind von weitem zu sehen. Trotzdem lässt sich in Rossano gut baden.
Rossano wehrt sich im Interesse seiner Gäste mit Erfolg gegen eine Umrüstung des Kraftwerks auf Kohle.

Nach einem Meer- und Sonnenbad gehe ich die Straße Richtung Bahnhof zurück bis zur Kreuzung mit der Staatsstraße 106. Ich gehe die Auffahrt hoch – nicht ohne auf den Verkehr zu achten – und gehe ein Stück die Straße entlang bis zur Firma Amarelli, der letzten übrigen Lakritzfabrik in Ostkalabrien. Im Hof der Fabrik sehe ich den Berg von Wurzeln der Lakritzpflanze liegen, die auf ihre Verarbeitung warten. Die Lakritzpflanze wächst in Kalabrien sowohl wild – es duftet oft im Sommer nach Süßholz bzw. Lakritze – wird aber auch auf Feldern angebaut. Die Firma Amarelli hat feine Lakritzprodukte entwickelt, die für jeden Geschmack etwas bieten. Im Museum kann man diese Spezialitäten erwerben und sich über die frühere und heutige Lakritzverarbeitung kundig machen.
(Thomas Raiser)

   

 

 


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