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BOVALINO
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Blick vom Bahnsteig in Bovalino aufs Meer |
Spezial: ASPROMONTE ___________ Das Busunternehmen |
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Wallfahrtsort Madonna di Polsi im Aspromonte | ||||||||||||||
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Tagebuch: Samstag 1. August 2009 Mit dem Zug von Locri nach Bovalino kostet €1,80, immer am Meer entlang. Um 10.30 Uhr startet dann vom Bahnhofsvorplatz der Mediterranea-Bus nach S. Luca. Dorthin gelangt der Bus über die Hügel des Vorgebirges und schließlich durch ein weites trockenes Flusstal aufwärts, an dessen rechter Flanke von unten gesehen San Luca am Hang liegt, eher unspektakulär, mit vielen neuen mehrstöckigen Häusern. Bedeutsam ist, dass der vielleicht berühmteste Dichter Kalabriens, Corrado Alvaro, in San Luca geboren ist. |
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Am Casello Vocale ist Familienfest. Die Polizisten lehnen dankend die von der Festgesellschaft angebotene Wassermelone ab und fahren weiter, ich dagegen nehme dankend an und sitze neben Opa und Oma und freue mich an der Verwandtschaft, die sich hier vergnügt. Nach einem ordentlichen Essen befinden sie sich gerade beim Nachtisch. "Wir kommen aus Duisburg, wie die meisten in San Luca." Per Zufall habe ich Antonio Pelle, Gastronom in Duisburg, getroffen. Er ist gerade daheim in S. Luca und macht hier Urlaub mit seinen Eltern und Geschwistern. Er erzählt, wie er nach den Ereignissen in Duisburg (6 Tote) wochenlang verdächtigt und überwacht und von alten Freunden im Stich gelassen wurde, nur weil es eine Namensgleichheit gab (einer der bei der Schießerei beteiligten Clans hieß Pelle - Strangio). "In San Luca heißen aber alle Pelle oder Strangio". In dem Buch "Geboren in San Luca" macht er seinem Ärger über die Kriminalisierung Kalabriens durch die Medien Luft. Dieser Ärger ist bei vielen Kalabresen zu spüren, die sich zu Unrecht ständig mit der Mafia in Verbindung gebracht sehen. | Am Bahnhofsvorplatz von Bovalino fährt Mediterraneabus nach San Luca ab (normalerweise täglich außer So um 7.30 und um 10.30 Uhr, Fahrtzeit ca 30 Minuten) | |||||||||||||
San Luca ist der Heimatort des Schriftstellers und Journalisten Corrado Alvaro. |
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Nun muss ich nur noch eine Stunde abwärts gehen, um Polsi zu erreichen, und schon bald sehe ich die Siedlung von oben. Kurz vor dem Wallfahrtsort überquere ich einen Bach. Ein paar Betonpfeiler künden von der Idee, eine Brücke zu bauen. An einer tieferen Stelle baden einige Familien, die sich später als Mitglieder einer Pilgergruppe aus Mammola herausstellen, die in 18 Stunden 70 Kilometer zu Fuß gegangen sind - an einem einzigen Tag. Von oben sieht Polsi aus wie drei langgezogene Ställe mit Blechdächern. Nähert man sich dann aber weiter an, so erkennt man eine interessante Ansammlung älterer Häuser, die Stück um Stück saniert werden. Ich komme in Polsi an. Als erstes sehe ich eine improvisierte Bar, vor der zwei Männer sitzen. Ich gehe weiter und komme zur kleinen Wallfahrtskirche, deren Türen weit geöffnet sind. Als ich sie betrete, sitzt in den hinteren Bänken eine Frau mit einem etwa achtjährigen Kind auf dem Schoß und singt ihm leise ein altes Wallfahrtslied vor, das sie auswendig kennt. Das Kind hört aufmerksam zu. |
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Polsi, unten die Kioske, oben der Wallfahrtsbezirk
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Die Wallfahrtskirche in Polsi | ||||||||||||||
Mehrere junge Männer nehmen im vorderen Teil der Kirche Platz. Einer beginnt laut ebenfalls Wallfahrtslieder zu singen, einige in dem volkstümlichen Tonfall der Marienlieder von Polsi, aber auch ein paar moderne Marienlieder, die ich kenne. Die andern stimmen ein. Erst am nächsten Tag merke ich, dass dies die Chorprobe war für den Sonntagmorgen. Durch den Seitenausgang der kleinen Kirche komme ich in ein Atrium mit blumengeschmückten Balkonen auf mehreren Stockwerken, alles neu renoviert. Als ich nach dem Wallfahrtspfarrer, Don Pino Strangio, frage. weist mich ein Jugendlicher nach oben. Im ersten Stock entdecke ich eine ganze Wand voll behängt mit Brautkleidern – sicher Kleider, die hier bei Trauungen getragen und dann der Madonna gestiftet wurden. Im obersten Geschoss geht von dem Balkon eine offenstehende Tür ab. Ich sehe zwei Räume, die als Büro und Aktionsraum möbliert sind. Mehrere freiwillige Jugendliche sitzen vor dem Computer oder erledigen irgendwelche Dinge. Von ihnen erfahre ich, dass Don Pino bald kommen wird. Zwischenzeitlich beobachte ich den Elektriker Salvatore und einen der Freiwilligen, als sie ein Transparent am Eingang des Wallfahrtsbereiches anbringen. Darauf wird von Polsi als dem „Herz des Aspromonte“ gesprochen, Worte, die ich sehr treffend finde und welche die neue Rolle des Ortes sehr gut zum Ausdruck bringen: |
Wandgemälde im |
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Brautkleider im Innenhof des Konventsgebäudes |
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Wallfahrtsbild
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Zur Entstehung des Am Anfang war Polsi bewohnt von italienisch-griechischen Mönchen, später bewohnten dann Eremiten das Santuario. Der Name "Polsi", früher "Poupsis"bezeichnet einen hervorgehobenen Ort oder bedeutet: Hervorhebung, Erhöhung. Santa Maria di Polsi würde also bedeuten: Maria von der Kreuzerhöhung. Als am 1. November 1457 Bischof Atanasio Calkeopulos zu Besuch nach Polsi kam, bedeutete dies den Übergang vom griechischen Ritus der italienisch-griechischen Mönche zum lateinischen Ritus der römischen Kirche. Er trifft auf ein kleines basilianisches Kloster voll spirituellen Lebens mit den Brüdern Nicodemo, Atanasio, Teofilo, Neofito und Simeone unter der Führung ihres Abtes Gerasimo. Wenig später, im Jahr 1480 verließen die basilianischen Mönche den Ort und zogen in das bis heute bestehende Kloster des ostkirchlichen Ritus in Grottaferrata bei Rom. Im 17. Jahrhundert bildete sich eine kleine Eremitengemeinschaft, die sich nach San Paolo I Eremita nannte. Diese Gemeinschaft bestand bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Von da an gab es jeweils einen "rettore", einen Wallfahrtspfarrer in Polsi. Im Jahr 1881 wurde zum ersten Mal die Krönung der Madonnenstatue begangen, von da an alle 50 Jahre, bis der frühere Bischof Bregantini vor wenigen Jahren die Marienkrönungen alle 25 Jahre anordnete, damit jede Generation die Chance einer Teilnahme hätte. |
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Tagebuch: Sonntag 2. August 2009 in Polsi Eine ungestörte vollkommene Ruhe zieht sich durch die ganze Nacht. Bis um 5 Uhr, denn dann läuten die (Lautsprecher-)Glocken mit dem Ave Maria-Lied den Sonntagmorgen ein. Irgendwann gegen acht Uhr nehme ich im Refektorium den Caffè (Espresso) aus der Kanne ein, zusammen mit ein paar Keksen zum Tunken, also wie üblich. Zwei, drei der Freiwilligen aus San Luca sind ebenfalls am Frühstücken. Unten auf dem Platz an der Kirche kommen schon die ersten Pilger, man hört die Stimmen, und der erste Souvenirstand lässt dezent Musik plärren. Ich gehe hinunter zu den Verkaufsständen, die im Rund angeordnet sind. („Das war eine der ersten Aktionen, die Don Pino Strangio nach der Übernahme des Amtes unternommen hat: Die Stände, die direkt vor der Kirche waren, auf den Platz unten am Flüsschen zu verbannen.“) Ein Händler baut am Weg zum Santuario seinen Blumenstand auf. Die Blumen sind sehr begehrt. Die Leute kaufen eine einzelne Blume für jeden und stecken sie dann in der Kirche vor dem Madonnenbild in eine bereitstehende Vase. Die Pilger sind inzwischen mehr geworden. „Die Messe fängt an, wenn die Leute da sind, dann läuten die Glocken.“ sagt Don Pino. Korrekt. Etwa halb zehn beginnt Don Vito mit der ersten Messe in der gut gefüllten Kirche. Die Leute, die noch Schlange stehen zum Maria-berühren und Blumen-Stecken werden gebeten, sich in die Bänke zurückzuziehen. Das irritiert zwei kleine Mädchen mit Cowboyhüten. Sie sind jetzt ganz durcheinander, denn sie können ihre Blumen nicht loswerden.. |
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Don Pino Strangio beim Gottesdienst in der Wallfahrtskirche |
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Eine Pilgergruppe aus Mammola ist innerhalb eines Tages 70 km zu Fuß nach Polsi gewandert,. Sie stellen jetzt den Chor, der die Lieder anleitet. Man singt auswendig. Vor dem Gottesdienst ruft jemand auf, sich zu melden, wer einen Bibeltext oder ein Gebet vorlesen möchte. Es kommen mehr als genügend, die bereit sind. Die Botschaft Die ersten beiden Messen leitet Don Vito. Gebürtig aus Apulien, war er mehr als 20 Jahre als Missionar in Sierra Leone, das waren extrem schwierige Jahre während des grausamen Bürgerkrieges. Don Vito ist ein gütiger und einfühlsamer Mensch, der hier in Polsi eine Sabbatzeit verbringt, um sich neu zu orientieren. Das Evangelium des Sonntags spricht von der Brotvermehrung. Ein dankbares Thema für Don Vito, der erzählt, wie sich in Sierra Leone mehrere Kinder ein Bonbon geteilt haben, weil Armut und Hunger tägliches Brot waren. Er vergisst auch nicht zu erwähnen, dass ja auch Kalabrien noch immer nicht zu den wohlhabenden Regionen Italiens zählt. Und er spricht von den Mülleimern in den Schulen, wo die Kinder ihr Pausenbrot werfen, weil ihnen den Brotbelag nicht schmeckt. Don Vito erwähnt auch die neue Sozialenzyklika Papst Benedikts, der die Reichen und Mächtigen zur Gerechtigkeit auffordert. Don Vito nimmt den Hunger des Leibes sehr ernst, weil er weiß, wovon er spricht. Er weiß aber auch, dass der volle Bauch allein noch nicht alles Glück bringt. Das Glück liegt im Teilen nicht nur des Brotes, sondern in einer Gerechtigkeit für alle.. Das Evangelium spricht von einem Brot, das weiter reicht als die momentanen Bedürfnisse, das Kraft hat zu verwandeln. Gott vergisst sein Volk nicht, das ist die Botschaft dieses Evangeliums, und wer sein Brot empfängt, trägt ihn bei sich Tag für Tag. Neben den Gottesdiensten her sind die Priester beschäftigt mit Beichthören, und die Gläubigen warten darauf in einer langen Schlange. Die dritte Messe mit Don Pino, dem „rettore“ (Rektor) des Wallfahrtsortes, ist verbunden mit einer Taufe eines Kindes. Don Pino leitet die Liturgie mit routinierter, verbindlicher Geschäftigkeit. Er gilt als ein Mann, der handelt. Don Pino Strangio ist der erste Rektor des Wallfahrtortes, der selber aus San Luca stammt. Leute aus dem Ort erzählen, wie er in seiner Jugend immer gerne dem damaligen Priester zur Hand gegangen ist, einen besonderen Hang zum Kirchenraum und zur Liturgie hatte. Er war schon damals etwas besonders, sagen sie. Während wir gespielt und Dummheiten gemacht haben, hat er dem Priester geholfen. Seit 1998 hat sich einiges verändert: Die zahlreichen Bauten, welche die Erdbeben der Jahrhunderte einigermaßen gut überstanden haben, werden nun eines nach dem anderen stilvoll hergerichtet. Don Pino gelingt es dabei, nicht nur die Häuser aufzubauen, sondern auch Menschen in Polsi zusammenzuführen. Seien es die Priester, die bei der Wallfahrt mithelfen und ihre eigenen Zimmer im Konventsgebäude haben, seien es die freiwilligen Jugendlichen (einer studiert Medizin in Reggio, ein anderer Jura in Messina), die ihre Ferien hier oben verbringen und mithelfen, wo immer notwendig, seien es die Erwachsenen, die von Kindheit an mit dem Ort verbunden sind. Einer von ihnem, Salvatore, der mich nach Bovalino zurückfährt, nicht ohne mir vorher den halben Aspromonte zu zeigen, ist als kleines Kind beim Opa aufgewachsen, und der war der Ziegenhirte des Santuario, also praktisch bei der Wallfahrt angestellt. Immer mehr bekommt Polsi die Bedeutung eines geistlichen Zentrums. Am Montag nach meinem Aufenthalt wollte Bischof Mons. Giuseppe Fiorini Morosini kommen, um sich mit den Seminaristen der Diözese zu Besinnungstagen zu treffen. |
Seit Neuestem gibt es ein Museum in Polsi |
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Salvatore und einer der Freiwilligen befestigen ein Transparent: "Das Santuario von Polsi: Symbolischer Ort des Wiederaufbaus und der Wiedergeburt des Aspromonte" |
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Hier gibt es legal geschlachtetes Ziegenfleisch. "Einmal hat jemand behauptet, in diesem hohlen Baum würden sich die Mafiosi treffen!" - Noch kann Don Pino spotten. Die Ganzjahres-Krippe von Polsi |
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Anmerkung: Don Pino wird seit Januar 2017 der indirekten Förderung der Ndrangheta und der Zugehörigkeit zu einer Freimaurerloge beschuldigt, welche die Vernetzung des organisierten Verbrechens mit den örtlichen sozialen Strukturen gefördert haben soll.. Neuer Rektor des Wallfahrtsortes ist Don Antonio Saraco. |
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